„Frau Afshar engagiert sich in der Kleiderkammer“
Von Philipp Schäfer
Häufig wird übersehen, wie viel Energie Geflüchtete selbst an den Tag legen, um das Leben im Lager etwas erträglicher zu gestalten.
Der Heimalltag für die Bewohnerinnen und Bewohner deutscher Asylunterkünfte ist von Warten geprägt. Ungewiss ist nicht nur der Ausgang ihrer Verfahren eine Antwort erhalten sie mitunter erst nach vielen Monaten, wenn nicht gar Jahren. Es ist ebenso das Warten aus Langeweile in einem von begrenzten Beschäftigungsmöglichkeiten geprägten und durch Behördengänge strukturierten Alltag. Der räumliche wie soziale Bewegungsradius der hier Lebenden ist stark eingeschränkt. Er begrenzt sich meist nicht nur auf die Zone der ,Residenz – pflicht‘, sondern auf das direkte soziale Umfeld: auf Bekanntschaften im Heim, auf das Personal, auf einige wenige Akteure der Außengesellschaft (Stadt). Er orientiert sich zudem an prekären zeitlichen Horizonten, die den Aufenthalt zu einem temporären machen, dessen Dauer unbestimmt ist und der häufig abrupt endet. Die zur Verfügung stehende Zeit ist hier kaum ,sinnvoll‘ zu verbringen.
Einen Beruf ausüben dürfen nur die Wenigsten einige haben Arbeit im informellen Sektor gefunden. Der mazedonische Asylsuchende Deniz verkauft beispielsweise Altmetall an lokale Händler, Mladen erwirtschaftet sich durch das Sammeln und Einlösen von Pfandflaschen einen Zuverdienst. Wiederum andere engagieren sich freiwillig im Heimbetrieb. Der junge Iraner Masud bietet seine Dolmetscherdienste an, seine junge Landsfrau Nesrin führte Malerarbeiten in den Aufenthaltsräumen der Gemeinschafts- unterkunft durch, der Kosovare Mentor hilft beim Pflegen des Grünbereichs vor dem Heim und Herr Baktash, ein afghanischer Flüchtling, der mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in Deutschland Asyl sucht, erledigt Reinigungsarbeiten im Heimgebäude. Es würde zu kurz greifen, ihr Engagement als bloßes Substitut für die ausbleibende Erwerbstätigkeit und somit Beschäftigungslosigkeit zu deuten. Darum gilt es folgenden Fragen nachzugehen: Wie und wo engagieren sich Asylsuchende im Flüchtlingswohn- heim freiwillig? Und welche Funktion erfüllt ihr Engagement für sie als soziale Akteure in einem spezifischen räumlichen Kontext?
Wie sich Asylsuchende im Heimalltag selbst helfen
Eine der Engagierten ist Frau Afshar. Ich treffe die betagte Dame in einem sächsischen Flüchtlingswohnheim. Erst vor wenigen Wochen verließ sie ihre iranische Heimat, um in Deutschland, wo auch ihre Tochter lebt, Asyl zu suchen. Frau Afshar spricht kaum Deutsch und Englisch. Mit mir und anderen unterhält sie sich daher vor allem gestisch. Schon kurz nach ihrer Ankunft übernahm sie die Leitung der Kleiderkammer des Heims. Dort sorgt sie seitdem für Ordnung, nimmt Kleiderspenden an, inventarisiertund hilft bei der Verteilung an die Heimbewohnerin- nen und -bewohner. Für diese Arbeit erhält sie eine kleine Aufwandsentschädigung, die in ihrer Höhe kaum ausreicht, um allein handlungsmotivierend zu wirken. Wertigkeit erhält ihr Engagement in mehrfacher Hinsicht. Für das von ihr in den Regalen etablierte Ordnungssystem wird Frau Afshar wiederholt vom Heimpersonal gelobt. Doch die Kammer ist mehr als nur ein Arbeitsraum. Bei meinem Besuch befinden sich dort noch zahlreiche iranische Freundinnen und Bekannte aus dem Heim. Angeregt unterhalten sich alle in der Landessprache Farsi. Lächelnd bietet Frau Afshar mir Süßigkeiten an. Die Kammer bildet als sozialer Raum eine spezifische Ordnung, in der sich nicht nur Frau Afshar bewegt. Wieder und wieder, so deutet sich hier an, wird sie zur sprachlich-kulturellen Begegnungsstätte und bietet somit Möglichkeiten der Rückkopplung an die eigene kulturelle Identität.