Ausgabe Nr. 56 | geld

Editorial

„Ich habe drei Kinder und kein Geld.
Warum kann ich nicht keine Kinder haben und drei Geld?“
Homer Simpson

Liebe Leser*innen über Geld spricht man hierzulande bekanntlich ja nicht, was von großem Vorteil für all diejenigen ist, die viel haben und nichts davon abgeben wollen. Diejenigen, die nichts haben, leben dafür in einer Welt, in der es ständig um Geld geht, sie aber bitte zu ihrer eigenen Armut die Klappe halten sollen. Eine erstaunliche kulturelle Maxime eigentlich für ein Land, das schon lange sehr erfolgreich in Sachen Kapitalismus und Geldanhäufung ist und den Wert des Menschen nicht selten an dessen Gehalt bemessen hat. Der Soziologe Max Weber erklärte das mit dem puritanischen Protestantismus in diesen Breitengraden. Darin herrscht nämlich die Vorstellung, dass man an den irdischen Reichtümern eines Menschen ablesen kann, ob dieser nach seinem Ableben in den Himmel auffahren würde. Also verkürzt: finanzieller Erfolg als ein Zeichen göttlicher Erwählung. Falls die Puritaner am Ende Recht behalten sollten, wird’s auf jeden Fall ziemlich fad im Himmel, denn die Mehrheit dieser Gesellschaft würde direkt aus der irdischen Hölle der Armut in die jenseitliche Hölle der Armen hinabfahren. Und damit sich daran was ändert, tun wir’s jetzt einfach: Wir reden über Geld.

Zum einen reden wir darüber, wer das Geld hat: das Syrische Regime zum Beispiel, und das nicht zu knapp. Unsere Autorin Marisa Raiser berichtet davon, wie jedes Jahr bis zu 100 Millionen Euro von syrischen Geflüchteten in Deutschland an den syrischen Staat gehen und so Assads Krieg gegen ihre eigenen Leute finanzieren – und warum diese nichts dagegen tun können. Die Antisexistische Aktion München wiederum berichtet, woher militante Abtreibungsgegner*innen in Deutschland die Gelder für ihre frauen*- verachtende Propaganda beziehen und wie sie von einem weltweiten Netzwerk von antifeministischen und LGBTIQ*-feindlichen Akteur*innen profitieren.

Wir reden auch darüber, wer kein Geld hat: Menschen etwa, die keine Mittel haben um sich während ihrer Menstruation mit Hygieneprodukten zu versor- gen. Von der sogenannten Periodenarmut erzählt Felicia Höchsmann. Der Passauer Rechtsanwalt Klaus Schank wiederum vertritt Geflüchtete, deren Sozialleistungen auf fast Null gekürzt werden. Unsere Autorin Franziska Schmid erklärt uns das ganze Elend der geplanten Bezahlkarte und welche fatalen Folgen dies für die Rechte von Geflüchteten haben wird. Und von einer ganz neuen Form der Hölle auf Erden berichtet Laura Romeis: Ihr Bericht von dem von der EU-Finanzierten und auf Lesbos geplanten High-Tech-Lager hat unsere Redaktion in seinem geradezu dystopischen Horror erschüttert zurückgelassen.

Und dann reden wir noch darüber, wie wir es künftig anders machen können: Mit einem kleinen Kollektiv, das seine Konten zusammengeschmissen hat und ab jetzt gemeinsame Wirtschaft macht. Mit der kommunistischen Bürgermeisterin von Graz, Elke Kahr, deren Fraktion nicht nur die Finanzen der Kommune, sondern auch die der Partei gegen den Strich bürstet.

Und mit der Wienerin Marlene Engelhorn, die bald ein paar Millionen verschenken wird. Sie erzählt uns, warum das mehr Menschen machen sollten.
Bis dahin. Und nicht alles auf einmal ausgeben, gell

Euer Geldadel von der Hinterland-Redaktion

Ausgelagert am Rand Europas

Auf der griechischen Insel Lesbos soll ein neues High-Tech-Lager für Geflüchtete entstehen. Von der Konstruktion solcher Orte und der Abschottung der europäischen Außengrenzen profitieren vor allem Rü- stungs- und Überwachungskonzerne – finanziert wird das alles von der EU.

Direkt gegenüber dem Hafen, in dem tagsüber die Schiffe von Frontex und der griechischen Küstenwache liegen, ist eine Bushaltestelle. Von dort aus kann man mit dem Bus in Richtung des Supermarkts Lidl fahren. Die Bushaltestelle ist selten leer, meist ste- hen dort dutzende Menschen mit Kinderwagen und Unterlagen, die in Plastiktüten gewickelt sind. Sie warten auf den Bus, der sie zurück zum Camp bringt. Wenn der Bus nicht fährt, sieht man Menschen am Straßenrand Richtung Camp laufen.

In die Stadt fahren bedeutet, ein paar Stunden Ablenkung: Kleidung einkaufen, Anwält*innen für Rat im Asylverfahren aufsuchen, eine Sim-Karte besorgen, um die Verwandten in der Heimat anrufen zu können oder einfach durch die kleine Fußgängerzone zu schlendern, in der Hoffnung auf ein Gefühl der Normalität. Hauptsache aber ein paar Stunden nicht auf Stacheldraht und weiße Zelte blicken. Diese Szenerie findet man tagtäglich in der kleinen Hauptstadt Mytilini der griechischen Insel Lesbos vor. Lesbos, das ist der Ort, der wie kein anderer seit 2015 zum Symbol europäischer Migrationspolitik geworden ist. Von hier aus wollen wir versuchen, einen genau- eren Blick auf die Geldströme des milliardenschweren europäischen Grenzregimes zu werfen.

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Schlechte Karten für alle

Mit seiner besonders restriktiven Umsetzung der Bezahlkarte schafft Bayern ein staatliches Kontrollinstrument, das Geflüchtete im Alltag einschränkt und diskriminiert. Es ist ein weiterer Schritt einer Asylpolitik, die Asylsuchende systematisch ihrer Selbstbestimmung und Freiheit beraubt und rassistische Stereotype bedient.

Das Entscheidende an der Menschenwürde ist ja: Sie gilt für alle gleichermaßen. Theoretisch. Praktisch aber dann doch nicht ganz. Mit der Bezahlkarte wird wieder einmal deutlich: In Deutschland sind wohl einige weniger würdig als andere. Obwohl das Bundesverfassungsgericht bereits 2012 urteilte „Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren“, macht die Regierung einmal wieder genau das: Mit der Bezahlkarte wird eine weitere diskriminierende Einschränkung von Sozialleistungen eingeführt, um das Leben von Asylsuchenden so unbequem wie möglich zu machen. Ob das mit dem Grundgesetz und den Ansichten des höchsten deutschen Gerichts zusammenpasst? – Egal, Hauptsache Abschreckung. Um welches Geld geht es hier eigentlich? Mit dem Sozialgesetzbuch (SGB) ist in Deutschland geregelt, dass allen Personen die Führung eines Lebens zu ermöglichen ist, das „der Würde des Menschen entspricht“, also direkt angelehnt an den §1 des Grundgesetzes. Asylsuchende und Menschen mit abgelehntem Asylgesuch fallen allerdings nicht unter das SGB. 1993 wurde mit dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) ein Sondergesetz für Asylsuchende geschaffen, deren Leistungen dadurch weit unter dem SGB-Niveau liegen. Bei der höchsten Bedarfsstufe gibt es nach dem AsylbLG im Jahr 2024 höchstens 460 Euro im Monat. Wer aber beispielsweise in einem ANKER-Zentrum untergebracht ist, erhält von diesem Betrag einen Teil nur als Sachleistung, wie zum Beispiel den Bedarf für Essen und Hygieneartikel. Oft bleiben so am Ende Beträge von weniger als 150 Euro übrig, die Menschen monatlich zur Verfügung stehen. Auch der Zugang zum Gesundheitssystem ist durch das AsylbLG eingeschränkt, sowie die Arbeitspflicht mit einem „Lohn“ von 80ct/h darin geregelt. Die Kampagne „AsylbLG abschaffen!“ kämpft für ein endgültiges Ende dieses diskriminierenden Gesetzes (asylbewerberleistungsgesetz-abschaffen.de).

(der ganze Artikel im PDF Format)

Wenn Gewaltschutz ein finanzieller Flickenteppich ist

Das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul Konvention) ist seit 2018 in Deutschland geltendes Recht. Es betont den Schutz aller Frauen vor Gewalt, unabhängig von Herkunft oder Aufenthaltsstatus. Doch trotz der rechtlichen Grundlage stoßen geflüchtete Frauen oft auf Barrieren beim Zugang zu Frauenhäusern. Der Bayerische Flüchtlingsrat erlebt regelmäßig, wie unzureichende Finanzierung und unsicherer Aufent- haltsstatus den Schutz geflüchteter Frauen gefährden. Ein dringendes Thema.
Ein Interview mit Sylvia Haller

Warum haben geflüchtete Frauen im Asylverfahren, mit Duldung oder unsicherem Aufenthaltsstatus, oft keinen Zugang zu Frauenhäusern?

Das hängt oft damit zusammen, wie Frauenhäuser finanziert werden. Berlin, Hamburg und Schleswig-Holstein haben eine pauschale Finanzierung. Diese Systematik der Finanzierung ist etwas stabiler. Alle anderen 13 Bundesländer sind komplett oder teilweise tagessatzfinanziert. Viele Frauenhäuser erhalten also nur Geld pro Tag und pro Kopf eines belegten Bettes. Das Geld erhalten sie nur, wenn die Frauen Sozialleistungen beziehen. Das kann auch die Asylbewerberinnenleistung sein. Es kann aber sein, dass diese nicht anerkannt wird. Wenn eine Frau zum Frauenhaus kommt, ist eine meiner ersten Fragen, ob sie einen Anspruch auf Sozialleistungen erhält. Bekommt sie zum Beispiel Bürgerinnengeld, ist das unter der Tagessatzfinanzierung der Jackpot. Sie stellt ihren Antrag auf ihren Lebensunterhalt, bekommt Kosten für Verpflegung und Klamotten und wir bekommen die Kosten der Unterkunft und für die Beratung erstattet. Wenn die Frau eine Arbeit findet, dann fällt sie raus aus dem Leistungsbezug. Dann muss sie selbst für ihren Frauenhausaufenthalt aufkommen. Die Tagessatzfinanzierung funktioniert je nach Bundesland unterschiedlich und variiert zudem von Kommune zu Kommune.


Kannst du das genauer erläutern?

Für jedes Bundesland gibt es eine landesweite Vereinbarung, ob Frauenhäuser komplett tagessatzfi- nanziert sind oder in einer Misch- form, wo sowohl das Land als auch die Kommune finanzielle Beiträge leisten. Die genauen Modalitäten, wie der Tagessatz auf das Konto des Frauenhauses gelangt, werden in jeder Kommune individuell verhandelt. Sogar die Höhe der Tagessätze müssen einzeln in der Kommune verhandelt werden, als auch über welche Gesetzbücher die Leistungen für ein Frauenhaus abgerechnet werden können. Wenn ich eine Caritas als Träger im Rücken habe, sind meine Verhand- lungschancen möglicherweise besser als für einen kleinen Verein. Die Logik der Finanzierung hat aber nichts mit der Trägerschaft, sondern mit der Örtlichkeit des Frauenhauses zu tun. Das führt zu einer Vielzahl von unterschiedlichen Vereinbarungen. Hinzukommt die finanzielle Abwicklung. Einige Frauenhaus- träger konnten Vereinbarungen treffen, dass die Kommune selbst für die Kostenerstattung verantwortlich ist. In solchen Fällen müsste die Aufnahmekommune, zum Beispiel Regensburg, mit der Herkunftskommune, wie Wolfratshausen, über die Erstattung der Kosten streiten. Es gibt jedoch auch Frauenhäuser, deren Träger solche Vereinbarungen nicht treffen konnten. Das Frauenhaus in Regensburg muss dann selbst mit der Kommune Wolfratshausen verhandeln, um die Kosten für die Frau aus Wolfratshausen erstattet zu bekommen. Diese mögliche Auseinandersetzung um die Kosten kann das Aufnahmeverhalten des Frauenhauses beeinflussen, da zusätzliche Ressourcen und Kapazitäten erforderlich sind.

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