Hopp oder Topp?
Von Jana Ballenthien und Tanja Carstensen
Hopp oder Topp?
Mit dem Web 2.0 stehen viele Grenzziehungen der sogenannten Moderne endgültig zur Disposition, etwa zwischen Öffentlichkeit und Privatsphäre, zwischen Nutzenden und Produzierenden, zwischen Erwerbsarbeit und anderen Lebensbereichen. Menschen, die viel mit dem Internet arbeiten, setzen sich zum Teil aktiv mit diesen Prozessen der Entgrenzung auseinander und kommen zu unterschiedlichen Lösungen.
Im Zuge der Globalisierung und Internationalisierung von Wirtschafts- und Finanzmärkten sowie einer Vermarktlichung unternehmensinterner Beziehungen wird seit den 1990er Jahren in der Soziologie intensiv das Phänomen der Entgrenzung diskutiert. In der Erwerbsarbeit lösen sich traditionelle Grenzen und Regelungen auf, es entstehen immer mehr ungeregelte Arbeitsverhältnisse jenseits von Tarifverträgen, befristet, als Mini-Jobs oder Ich-AGs. Vormals klare Arbeitszeiten verschwimmen zunehmend mit Zeiten außerhalb von Erwerbsarbeit, bedingt durch gestiegene Anforderungen und Arbeitsverdichtung auf Unternehmensseite, aber auch eigene Ansprüche an Selbstverwirklichung im Job. Die räumlichen Strukturen von Betrieben und Büros lösen sich auf und werden von Homeoffice, international kooperierenden Teams und Co-Working-Spaces abgelöst. Klassische Ausbildungen wie Schulbildung oder Studium verlieren an Bedeutung. Wichtiger werden Schlüsselqualifikationen wie Kommunikations- und Medienkompetenz. Auch nationalstaatliche Grenzen verlieren teilweise an Bedeutung. Entgrenzung wird für den Bereich der Erwerbsarbeit als ambivalenter Prozess diskutiert, der mehr Anforderungen an Selbstorganisation und Strukturierungsleistungen des Subjekts stellt und dabei Chancen größerer Autonomie innerhalb der Arbeitsverhältnisse bietet, aber auch Gefahren erhöhter Belastung und die Tendenz zur Selbstausbeutung birgt.
Nicht zuletzt die technologischen Veränderungen der letzten Jahre haben diese zeitliche, räumliche, rechtliche und organisatorische Entgrenzung mit bedingt. Die digitalen Medien wie Smartphones, Tabletts, Social Networks wie Facebook oder Xing, KurzmessagesDienste wie Twitter und viele andere „Mitmachmöglichkeiten“ des Web 2.0 (Youtube, Flickr, Foursquare…) begünstigen Entgrenzungen – welche ihre Nutzerinnen und Nutzer zudem mit Handlungsaufforderungen zu aktiver Partizipation konfrontieren.
In unserer von der Volkswagen-Stiftung finanzierten Untersuchung „Subjektkonstruktionen und digitale Kultur“ führten wir 30 Interviews mit Menschen zwischen 22 und 30 Jahren, die in den Berufsfeldern Onlinejournalismus, Webdesign, Programmierung, Online Development, Social Media Beratung und andere arbeiten. In der Befragung wird deutlich, dass die Auseinandersetzung mit Grenzen bzw. Entgrenzung eine wichtige Herausforderung im Alltag darstellt. Vier Themenkomplexe stehen dabei im Mittelpunkt: Die Entgrenzung von Erwerbsarbeit und Freizeit, die Veränderungen im Verhältnis Privatsphäre und Öffentlichkeit, der permanente technische Wandel und die Herausforderungen des Lernens zwischen „alten“ Lerninstitutionen und einem autonomeren und autodidaktischeren Lernen.