Die Penetranz der bayerischen Guerilleros
Von Fritz Burschel
Die Penetranz der bayerischen Guerilleros
Der Bayerische Flüchtlingsrat als Pickel am Allerwertesten der freistaatlichen Dominanzkultur.
„Bürger seines Landes wird man, wenn es ist wie dieses Land, nur als eine Art Guerillero.“ Dieser Satz von Klaus Theweleit trifft auf kaum jemanden in Bayern so sehr zu wie auf die Aktiven des Bayerischen Flüchtlingsrates. Wie schief gewickelt muss man auch sein, sich im Bierdimpfl-Großbiotop gegen die herrschende gated community von Laptop und Lederhosen aufzumandeln? Was für ein Selbstbewusstsein braucht man, um sich gegen die Übermacht dessen zu stemmen, was in Bayern sub signo crucis das Sagen hat? Und welche enorme Frustrationstoleranz, um nicht auf gut Deutsch zu sagen: Sturköpfigkeit, braucht es, um dem Bisschen Menschenrechte gegen die Arroganz und Exklusivität einer autoritären Denkungsart und Exekutive auf die Sprünge zu helfen. Man muss eine/einer der Guerilleras/Guerilleros in den Reihen des Bayerischen Flüchtlingsrates sein. Und ich weiß wovon ich spreche, ich kenne etliche von ihnen und bewundere sie für die unaufgeregte Widerborstigkeit und Bauernschläue. Und oft – zumal in brenzligen Situationen – habe ich diese Leute geliebt.
Wer sich zum Beispiel in böser Absicht einem der antirassistischen Camps der Kampagne „kein mensch ist illegal“ des nachts näherte, während die BayFlüRaLeute Wache schoben, konnte mit blauen Wundern oder Flecken rechnen. Gewisse junge Leute aus Jena werden sich das Jahr 2002 sicher gemerkt haben und auch die Thüringer Kripo, die sich unangemeldet und im Auto ohne Licht dem Camp-Gelände genähert hatte: Rumbs, war die Frontscheibe der Dienstkarosse futsch, so schnell konnte der Rückwärtsgang gar nicht eingelegt werden. In Zittau und Umgebung erzählt man sich noch heute, fast zwölf Jahre nach dem Grenzcamp dort, von dem gemischten Chor junger, vitaler Stimmen, der nach strapaziöser Nachtwache wacker zum Frühstückszelt zog und aus voller Kehle „Der Schutz hat nur ne´ Warnfunktion, auch am Telefon, wisst ihr´s alle schon, Und hat der Schutz mal eine Fehlfunktion, kommt sofort die Ablösung“ sang! Sang, jawohl, und nicht grölte.
Gibt es diese oft beschworene bayerische Widerständigkeit und Renitenz überhaupt, oder ist das auch nur ein versteinerter Mythos, dessen sich selbst der reaktionärste Bauernfünfer und CSU-Stammtisch-Stratege mit einem schwerzüngigen „Mia san mia“ bedienen kann? Und wenn es stimmt, wie Herbert Achterbusch es formuliert, dass es in Bayern 60 Prozent Anarchisten gibt, die alle CSU wählen, will man dann tatsächlich noch Anarchist oder Anarchistin sein? Nein, das ist eine reine Imageblase der siebeng’scheiten Bayern, die tief verwurzelt in einer bäuerlichchristlichen Religiosität oft besser wüssten als die Obrigkeit, was „guad und sche“ ist, und deren traditionsbewusstes Beharrungsvermögen mit den Anforderungen der globalisierten Welt eine turbo-kapitalistische Dynamik entfaltet, bis sich in München kein normaler Mensch mehr eine Wohnung leisten kann, bis die Giga-Industriekonzerne der Automobil-, Rüstungs-, Atom- und Hochtechnologie ihren Standort in diesem Land suchen, wo die Staatsregierung schon gern auch mal das Gesetz Gesetz sein lässt, um ein fieses Projekt durchzusetzen. Zwar ist die große Zeit der Bayern-SED unter Franz Josef Strauß lange vorbei, doch fürchtet immer noch die Hälfte der Einwohnerschaft Bayerns den gnadenlosen Sozialismus, falls der Niedergang der CSU weiter anhält. Aber woher sollte er kommen, der Sozialismus: etwa von einer auf die Looser-Rolle abonnierten Sozialdemokratie, deren Frontleute tatsächlich – so Ministerpräsident Seehofer und „wo er recht hat, hat er recht“ – das einzige Schlafmittel sind, das man über die Augen aufnimmt? Oder von der heillos zerstrittenen Linken, oder gar den unterdessen bestbürgerlichen Grünen, die stolz die Solardächer im Lande zählen?