Ein alter Streit in neuen Gewändern
Von Imke Leicht
Ein alter Streit in neuen Gewändern
Nicht erst mit dem in verschiedenen europäischen Staaten durchgesetzten Burka-Verbot schlägt die Debatte um den Widerstreit zwischen Universalismus und Kulturrelativismus hohe Wellen. Vielmehr handelt es sich um eine polarisierte wie traditionsreiche Grundsatzdebatte, in der sich die Positionen nicht eindeutig in ein politisches Rechts-Links-Schema einordnen lassen.
Ist das Tragen einer Burka als religiös begründete Praxis zu tolerieren, oder ist es Ausdruck patriarchaler Unterdrückung muslimischer Frauen und als solches zu unterbinden? Wie lässt sich das freiwillige Tragen eines Schleiers vom Zwang familiärer oder religiöser Gemeinschaften unterscheiden? Wie kann man patriarchal-autoritären Strukturen in streng gläubigen islamischen Milieus begegnen, ohne muslimische Gemeinschaften unter Generalverdacht zu stellen und ihnen das Recht auf ihren religiösen Glauben abzusprechen? Hinter all diesen Fragen verbirgt sich insbesondere im europäischen Kontext eine Grundsatzdebatte, die sich sowohl im Kopftuch-Streit als auch in den Auseinandersetzungen um Zwangsehen, Moscheen- und Minarettbauten oder islamischen Religionsunterricht niederschlägt: der bis ins 19. Jahrhundert zurückreichende, grundlegende Widerstreit zwischen Universalismus und Kulturrelativismus, der wesentlicher Bestandteil der Debatten um Theorien und Praktiken des Multikulturalismus ist. Dieser Widerstreit hat in den letzten Jahren am Kristallisationspunkt „Islam in Europa“ zu einer weiteren Polarisierung zwischen den verteidigenden und den skeptischen Gruppen hinsichtlich multikultureller Gesellschaften geführt.
Der Universalismus geht davon aus, dass alle Menschen die gleichen Rechte aufgrund ihres Menschseins besitzen. Moralurteile und Gesetzmäßigkeiten werden zum Schutz der Würde des Einzelnen und zur Ermöglichung der individuellen Selbstbestimmung als kulturübergreifend und für alle Menschen gültig betrachtet. Universale Werte, Normen und Rechte sind deshalb unabhängig von Kultur legitimiert. Der Kulturrelativismus hingegen geht davon aus, dass Kultur die hauptsächliche oder gar die einzige Legitimationsquelle für moralische und rechtliche Prinzipien ist. Demnach sind Normen und Werte immer Ausdruck spezifischer kultureller und historischer Umstände und haben folglich nur innerhalb einer bestimmten Kultur und für die in ihr lebenden Menschen Geltung. Universelle Normen und Gesetzmäßigkeiten zu beanspruchen, ist aufgrund unüberwindbarer, essentieller kultureller Differenzen unmöglich oder zumindest nur stark eingeschränkt möglich.
Trotz der anhaltenden Auseinandersetzungen um die Legitimation kultureller bzw. universeller Werte, hat sich in multikulturellen Gesellschaften bis heute kein Konsens über die notwendigen Voraussetzungen für ein Zusammenleben von Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen herausgebildet. Ebenso wenig ist geklärt, wie bestimmte kulturelle identitätspolitische Forderungen und Praktiken mit freiheitlich-demokratischen Grundprinzipien in Einklang zu bringen sind. Vielmehr herrscht eine polarisierte Diskussionslage vor. Während von der einen Seite als affirmatives Bekenntnis zum Multikulturalismus und Antirassismus eine größtmögliche Toleranz gegenüber kulturell begründeten Praktiken, Wertvorstellungen und Rechtsauffassungen gefordert wird, macht sich auf der anderen Seite eine grundlegende, ressentimentgeladene Ablehnung eines gesellschaftlichen Pluralismus breit. Kennzeichnend für die Debatte ist, dass sie sich nicht eindeutig in ein politisches Rechts-Links-Schema einordnen lässt. Als fragwürdig erweist sich hingegen auf allen Seiten die Auffassung von Kultur, kultureller Identität und Zugehörigkeit. Diese Problematik geht auf den Kulturrelativismus und seine Einflüsse auf Theorien und Praktiken des Multikulturalismus zurück.