Wir sollten uns schämen
Von Tom Reiss
Normalerweise vermeide ich es, bei soziopolitischen Themen das Wort „wir“ zu verwenden. Es ist einfach zu ungenau, vorbelastet und suggestiv, ganz zu schweigen davon, dass es fast immer Menschen mit mir in einen Topf wirft, die vorher zumindest gefragt werden möchten. So viel nur als Vorrede, denn im Folgenden werde ich dieses Wort sehr viel verwenden – ich denke aber, es ist ausnahmsweise notwendig und angebracht.
„Wir“, das sind für meine Zwecke die Gruppe weißer, privilegierter Deutscher. „Weiß“, „privilegiert“ und „deutsch“ sind selbst auch wieder Begriffe, über die man im Grunde sehr lange diskutieren müsste, aber ich möchte es erst einmal dabei belassen, euch, liebe Leserinnen und Leser, einfach ganz intuitiv etwas darunter vorzustellen (so einen wie mich, zum Beispiel).
Im Laufe der vergangenen Jahrzehnte kommt es verstärkt vor, dass Mitglieder dieser Gruppe den Eindruck haben, sich dafür schämen zu müssen, weiß, privilegiert und deutsch zu sein. Einige von uns schämen sich auch tatsächlich, aber dazu später mehr. Das ist im Grunde vollkommen unangebracht, denn absolut niemand auf der Welt sollte sich dafür schämen müssen, mit welcher Hautfarbe, in welche Verhältnisse und mit welcher Nationalität sie oder er geboren wurde. Falls jemand einer anderen Person das Gefühl gibt, das müsse sie doch, so ist das weder besonders klug, noch besonders nett und führt auch zu keinem sinnvollen Ergebnis.