Ausgabe Nr. 42 | zweiundvierzig

 

„How much is the fish?”
Scooter

Liebe Fragenden und Suchenden, liebe Leser*innen,

die Antwort auf alle Fragen ist da! Ihr haltet sie in Händen. Das Suchen hat ein Ende und alles bekommt endlich einen Sinn. Vielleicht …

In seinem Erfolgsroman The Hitchhiker’s Guide to the Galaxy schreibt Douglas Adams, dass „42“ die
Antwort auf alle Fragen, auf die Frage „nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest“ sei. Und so kann die Hinterland #42 natürlich auch nicht weniger sein als eben jene Antwort auf alle Fragen. Ja, das ist ein großes Ziel – und ja, das ist verdammt nerdy.

Doch was sind überhaupt die Fragen, die uns alle umtreiben? Welche Fragen stellen sich in Damaskus oder in Tripolis, welche auf Lesbos, welche in München, Kassel oder in Görlitz? Welche Fragen stellen sich für queere Geflüchtete? Welche Fragen stellen sich auf dem wochenlangen Weg durch die Sahara? Welche Fragen stellen sich beim Anblick des rostigen, seeuntauglichen Seelenverkäufers, der die Strecke über das Mittelmeer niemals überstehen wird? Welche Fragen stellen sich, wenn die gewalttätigen Erfüllungsgehilf*innen von BIA, Pegida und AfD sich mit Pistolen bewaffnen und an deiner Tür klingeln?

Wie stoppen wir den Klimawandel und wie stoppen wir die Rechten? Wie überwinden wir Armut, Ungerechtigkeit und Kapitalismus?

Und dann ist da noch die Frage aller Fragen: Was ist der Sinn des Lebens? … Liebe? Kinder? Reichtum? Anderen Menschen helfen? Oder doch einfach nur so viel Spaß haben wie möglich? Die Antworten sind so vielfältig und bunt wie die Menschen es selber sind. Und manchmal rennen wir ein Leben lang einem Ziel hinterher, um am Ende zu erkennen, dass alles bloß ein Irrtum war. Manchmal verkehrt sich Sinn in Unsinn. Und manchmal wird einfach alles bedeu- tungslos, wird die große Frage auf eine sehr kleine, aber bedeutende Antwort heruntergebrochen – und die Frage nach dem Leben ist die Frage nach dem reinen Überleben.

Doch es müssen auch gar nicht die großen Fragen über Leben und Tod und das Universum sein – manchmal sind auch die kleinen Fragen existenziell. Wo kannst du mit deinem prekären Einkommen noch Tomaten einkaufen, wenn der Aldi um die Ecke zumacht? Wieso räumt niemand die Küche nach Benutzung wieder auf? Was haben der völkische Trachten-Pseudorocker Andreas Gabalier und die Münchner Komikerlegende Karl Valentin gemein? Ist ein Hotdog ein Sandwich? Fragen über Fragen.

Eines hatten wir bei all den Fragen allerdings nicht bedacht: Der im Buch mit der Findung der Antwort beauftragte Supercomputer Deep Thought benötigte insgesamt 7,5 Millionen Jahre, um zu einem Ergebnis zu kommen – vielleicht waren die drei Monate, die uns für die Erstellung dieses Heftes zur Verfügung standen, dann doch etwas sportlich gedacht.

Und so konnten wir nicht auf alle Fragen eingehen, die uns so umtreiben. Einige der obigen haben wir beantworten können. Einige wirklich wichtige blieben unbeantwortet. Da ist die große Frage des Transzendentalen, nach Gott und der Religion zum Beispiel. Warum suchen die einen Halt im Glauben, während andere dem engen Korsett der religiösen Unterdrückung entfliehen wollen? Oder auch die uns alle immer bewegende Frage nach der Liebe. Was ist die Liebe? Wo finden wir sie? Und wie verlieren wir sie nicht wieder?

Ja, das alles hätten wir euch noch gerne beantwortet. Doch liegt nicht gerade auch in der Suche nach dem Sinn ein Sinn? „Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen“, schreibt Camus. Und so rollen wir wieder den Stein auf den Berg und stellen uns weiter die großen Fragen. Wenn wir eine Antwort finden, teilen wir sie euch natürlich mit.

Eure Fragensteller*innen von der Hinterland-Redaktion

„Du bist hier nicht zu Hause“

Im Rahmen des Forschungsprojekts Willkommenskultur und Demokratie in Deutschland haben wir mit Geflüchteten, Behörden und Beratungsstellen über den Prozess der Arbeitsmarktintegration gesprochen. Dabei wurde deutlich, dass Geflüchtete in einigen Betrieben rassistischer Ausgrenzung und Diskriminierung ausgesetzt sind.

In Betrieben sind Geflüchtete beim Berufseinstieg in einigen Fällen aggressiver rassistischer Diskriminierung und Ausgrenzung durch Kund*innen oder Kolleg*innen ausgesetzt. Eine erfolgreiche Integration in den Arbeitsmarkt wird dadurch teilweise deutlich erschwert oder sogar verunmöglicht. „Es ist ein raues Klima im Handwerk“, stellt eine Beratungsstellenmitar- beiterin aus Baden-Württemberg fest, „gerade als Schwarzer Mensch muss man schon ein dickes Fell haben. Als Azubi sowieso und dann noch als Schwarzer, da bist du ganz unten in der Hierarchie.“

Alltagsrassismus ist dabei nicht immer klar von Ausbeutung und Diskriminierung aufgrund (formeller oder informeller) betrieblicher Hierarchien zu unter- scheiden, erklärt der Mitarbeiter einer Beratungsstelle in Sachsen: „Alltagsrassismus ist oft ziemlich implizit. Ich habe hier keine Geschichten, wo ein Mitarbeiter ‚Affe‘ genannt wurde oder sowas. Eher, dass man das Gefühl hat, man wird ein bisschen ausgegrenzt: Man wird nicht in die Gespräche der anderen Mitarbeiter so richtig mit inkludiert. Man wird vielleicht extra viel an der Spüle eingesetzt. Es wird erwartet, dass du weiterarbeitest, wenn die anderen eine Pause machen. Dass man Überstunden macht. Man wird ein bisschen abfällig behandelt, ohne dass explizit rassistische Kommentare kommen.“

(der ganze Artikel im PDF Format)

Coming Home

Bund und Länder wollen, dass Geflüchtete keinen Tag länger in Deutschland verbringen, als unbedingt notwendig ist. Die meisten müssen das Land gegen den eigenen Willen verlassen – aber einige reisen freiwillig aus. Doch wie freiwillig kann eine solche Ausreise tatsächlich sein? Dr. Inge Kapraun arbeitet seit Jahrzehnten mit Geflüchteten, davon 13 Jahre im Bereich der Rückkehrhilfen.

Ich würde gerne Fragen stellen über Menschen, die zu dir kamen, die sich für eine Rückkehr entschieden haben oder sich beraten lassen wollten. Wer kommt und lässt sich beraten für eine Rückkehr und wer sind diese Menschen?

Wir reden jetzt hier speziell von der Rückkehr von geflüchteten Menschen, das ist ja ein besonderer Personenkreis. Die Menschen, die Rückkehrer*innen, über die wir sprechen, das sind Menschen, die erstens mal nicht unbedingt freiwillig aus ihren Ländern nach Deutschland gekommen sind. Meistens sind es ja Geflüchtete aus entweder Kriegssituationen oder Perspektivlosigkeit und zweitens muss man sich daneben auch anschauen, was für eine Form diese Rückkehr ist: Ist es eine freiwillige Rückkehr, oder ist es eine erzwungene Rückkehr? Was ist überhaupt eine freiwillige Rückkehr? Ich habe in dem Bereich gearbeitet und dieser Begriff der freiwilligen Rückkehr ist natürlich ein sehr schwieriger.

Ich habe im Rahmen meiner Arbeit vor Jahren schon mal einen Vortrag gehalten zu dem Thema und habe damals die ganzen Definitionen zur freiwilligen Rückkehr zusammengesucht. Ich kann mich an eine extreme Definition erinnern: In einem skandinavischen Land beispielsweise wurde freiwillige Rückkehr so definiert, dass nur ein Mensch mit einem festen Aufenthalt freiwillig zurückkehren kann. Und das andere Extrem war, glaube ich, die Definition der IOM [Internationale Organisation für Migration; Anm. d. Red.], die davon ausgeht, dass es sich um freiwillige Rückkehr handelt, solan- ge keine Abschiebung stattfindet.

Und ich war in diesem Bereich tätig, wo es um ‚freiwillige Rückkehr‘ ging. In diesem Zusammenhang gab es tatsächlich Menschen, die sind freiwillig zurückgekehrt. Es gab sogar ein paar mit einem festen Aufenthalt, die zurückkehren wollten. Meistens hatte das familiäre Gründe.

Aber der Großteil der Menschen, mit denen ich gearbeitet habe, waren eigentlich Menschen, die entweder tatsächlich ausreisepflichtig geworden sind und mit dieser ‚freiwilligen Rückkehr‘ ihre Abschiebung verhindern konnten. Oder auch Menschen, die aufgrund ihres Aufenthaltsstatus, in dem Fall meistens Duldung, oft schon sehr lange in Deutschland waren und hier keine Perspektive gesehen haben.

(der ganze Artikel im PDF Format)

Darf es eine Duldung zweiter Klasse geben?

Am 7. Juni 2019 wurde im Bundestag ein Paket von sieben Gesetzen und Änderungen beschlossen. Das sogenannte „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ sieht eine neue Duldung vor; eine Duldung zweiter Klasse. Hubert Heinhold über den Inhalt und die Auswirkungen dieser neuen Duldungsart.

Der deutsche Bundestag hat am Freitag, den 7. Juni 2019, das sogenannte „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“, treffender „Hau-Ab-Gesetz“ genannt, beschlossen. Dieses sieht in § 6o b Aufenthaltsgesetz die Einführung einer sogenannten Duldung-light vor. Diese „Duldung für Personen mit ungeklärter Identität“, so die offizielle Bezeichnung, unterwirft die Betroffenen vielfältigen Einschränkungen.

Von dieser Duldunglight sind alle Geflüchteten betroffen, denen vorgeworfen wird, dass die Abschiebung aus von ihnen zu vertretenden Gründen nicht vollzogen werden kann. Das ist der Fall, wenn sie über ihre Identität oder Staatsangehörigkeit getäuscht oder falsche Angaben gemacht haben oder wenn sie zumutbare Handlungen der Passbeschaffungspflicht nicht vorgenommen haben. So der Wortlaut des Gesetzes.

In § 6o b Aufenthaltsgesetz sind die Mitwirkungspflichten zur Beschaffung eines Passes oder Passer satzes detailliert aufgelistet. Neben der Pflicht zur persönlichen Vorsprache bei den Behörden des Heimatlandes, der Teilnahme an Anhörungen und der Abgabe von Angaben und Erklärungen, Lichtbildern und Fingerabdrücken sowie der Zahlung der verlangten Gebühren wird von den Geflüchteten auch die Abgabe einer Erklärung über die freiwillige Rückkehr und Erfüllung der Wehrpflicht verlangt – selbst wenn das wahrheitswidrig ist. Das alles nicht nur einmal, sondern wiederholt, wenn die Ausländerbehörde sie dazu auffordert, weil sie sich jetzt einen Erfolg verspricht. Die Betroffenen müssen glaubhaft machen, dass sie diese Pflichten erfüllt haben. Dies kann auf Aufforderung der Ausländerbehörde dadurch geschehen, dass sie eine strafbewehrte eidesstattliche Versicherung abgeben.

(der ganze Artikel im PDF Format)

hl42

foto: Michael Trammer