„Wir sind unabhängig und parteilich“
Ein Interview von Christiane Kern
Rechtsradikale und rassistische Anschläge, Über- und Angriffe, Morde, Attacken, Überfälle, Menschenjagden und Attentate finden in Deutschland (all)täglich in allen Räumen des Lebens statt. In Treppenhäusern, Bushaltestellen, Kneipen, Einkaufszentren, S-Bahnstationen, Gärten, Clubs, Straßenbahnen, Tankstellen, Parks, auf Bürgersteigen, Parkplätzen und Feldwegen. Die Mobile Opferberatung Sachsen-Anhalt unterstützt Betroffene dieser Anschläge und hat von Stephanie Heide die Tatorte einiger Fälle dokumentieren lassen. Seit 15 Jahren unterstützt die Mobile Opferberatung in Sachsen-Anhalt Betroffene rechtsmotivierter, rassistischer, antisemitischer, oder homophober Angriffe durch Begleitung, Beratung und öffentliche Solidarisierung. Christiane Kern hat mit einer der beiden Projektleiterinnen, Antje Arndt, über Grundsätzliches, aber auch Hintergründiges ihrer Arbeit gesprochen.
In eurem Gründungsjahr 2001 entstanden in allen neuen Bundesländern und Berlin Opfer- beratungsprojekte. Warum gerade zu diesem Zeitpunkt?
Die Jahre Ende der 90er waren allgemein in Deutschland eine Zeit der Pogrome gegen Geflüchtete und ihre Unterkünfte bis hin zu Mord. In Dessau, Sachsen-Anhalt, wurde im Jahr 2000 Alberto Adriano1 vondreiNaziskinheads tödlich misshandelt. Dieser rassistische Mord war als Alarmzeichen für die zivile Öffentlichkeit maßgeblich. Er hatte einen Spen- denaufruf für die Hinterbliebenen zur Folge – und eine weitreichende mediale Debatte über die tödliche Dimension rechter Gewalt in Deutschland. In der Konsequenz wurde auch die Politik aktiv. Gerhard Schröder rief nach dem Brandanschlag auf die Synagoge in
Düsseldorf im Oktober 2000 den „Aufstand der Anständigen“ aus. 2001 initiierte dann der Bund für die neuen Bundesländer und Berlin das Programm CIVITAS, ein Aktionsprogramm gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt. Als Teil dieses Programms wurden die Opferberatungsstellen ins Leben gerufen – darunter auch unsere.
Warum wurden nicht auch in den alten Bundesländern Beratungsangebote für Opfer rechter und rassistischer Gewalt eingerichtet?
In der medialen Öffentlichkeit lag damals der Fokus der Diskussion über rechte Gewalt fast ausschließlich auf dem Osten Deutschlands. Deshalb sah die Politik nur dort Handlungsbedarf. Natürlich gab es schon seit langem auch rechte, rassistische Gewalt und organisierte Neonazis im Westen. Aber in der Zeit der Nachwende hatten die Neonazis, die sich übrigens gerade weil sie im Westen schon gut organisiert waren, so schnell und massiv im Osten ausbreiten konnten, leichtes Spiel. In der gesellschaftlichen Umbruchssituation jener Jahre tat sich in den neuen Bundesländern ein Machtvakuum auf, in dem sich besonders jüngereMenschen mühelos von rechten Ideologien überzeugen ließen. Vor allem im Bereich der sozialen Jugendarbeit, zum Beispiel bei Club- und Bandgründungen, wurde die rechte Szene aktiv, teilweise aus Unkenntnis und Mangel an sonstigen Angeboten für Jugendliche, sogar staatlich gefördert.
An welchen Standorten wart ihr damals? Mit wie vielen Helfern? Wo und wie viele seid ihr jetzt?
In Sachsen-Anhalt hat die Mobile Opferberatung flächendeckend von Nord bis Süd aktuell drei Standorte: Salzwedel, Magdeburg und Halle. In Dessau gibt es noch eine weitere fachspezifische Opferberatungsstelle unter anderer Trägerschaft. Begonnen haben wir 2001 mit vier Anlaufstellen und vier Hauptamtlichen. Heute sind wir insgesamt sieben, allerdings jeweils in Teilzeit, das heißt eigentlich verfügen wir über nur 4,75 Stellen.