Schutzraum vor Gewalt
Ein Interview von Jessica Schallock
Für minderjährige Flüchtlingsmädchen bedeutet eine sichere Unterkunft am Anfang oft eine Umgebung ohne Männer. Judith Eberhard ist in München mitverantwortlich für ihre Unterbringung und beschreibt den Umgang mit Traumata, Gewalt und Zukunftsangst, aber auch die schönen Momente im Hier und Jetzt.
Seit wann nehmen Sie Flüchtlingsmädchen auf?
Die stationäre Jugendhilfe gibt es schon seit 22 Jahren und es waren von Anfang an Flüchtlingsmädchen mit dabei. Wir hatten ein integratives Konzept, bei dem deutsche Mädchen zusammen mit ausländischen Mädchen und Flüchtlingsmädchen untergebracht waren. Als dann die Flüchtlingswelle kam, gab es von der Stadt München den Wunsch, dass es eine spezielle Einrichtung nur für die geflüchteten Mädchen gibt. Deswegen haben wir 2014 eine Wohngruppe allein für Flüchtlingsmädchen eröffnet und 2015 eine Inobhutnahmestelle. Wir hatten aber auch in unserer Schutzstelle noch Flüchtlingsmädchen. Zudem gibt es eine Verselbstständigungsgruppe. Es ist eine richtige Angebotskette geworden.
Wie bekommt man denn überhaupt so einen Platz bei Ihnen?
Also wir nehmen die Mädchen auf und haben keine riesenlange Warteliste. Das geht auch dadurch, dass wir diese Verselbstständigungsgruppe haben, dann können wir die Mädchen, denen wir es zutrauen, auch ein bisschen früher selbstständiger wohnen lassen. Letztes Jahr gab es eine Phase, da hatten wir Notbetten überall und es war eigentlich eine Katastrophe. Da war es wirklich heftig.
Welche sind ihre speziellen Einrichtungen?
Die Inobhutnahmestelle Rosamunde in Waldtrudering, in Englschalking die Wohngruppe M(hoch)3 für Mädchen, die schon länger hier leben und eine längere Wohndauer haben. Für die Verselbstständigungsgruppe eröffnen wir jetzt Mädchenapartments, in denen die Mädchen selbständiger leben und nicht mehr diese Rundumbetreuung haben. In den Einrichtungen ist aber 24 Stunden immer eine pädagogische Ansprechperson da. Das Positive daran ist, dass die Mädchen in einer Einrichtung bleiben können und nicht so viele Wechsel haben.
Wie versuchen Sie, den Wechsel von Unterkünften und Ansprechpersonen gering zu halten?
Wir versuchen, ehrenamtliche Paten zu finden, die neben dem Vormund ansprechbar sind. Das sind oft junge Frauen, die Unterstützung leisten und dem Mädchen als Patin bleiben, auch wenn es in eine andere Einrichtung umzieht. Diese festen Bezugspersonen sind enorm wichtig. So gibt es auch eine feste Bezugspädagogin. Das gibt den Mädchen Sicherheit. Am Anfang beherrschen die Mädchen die Sprache nicht, sie haben ihre Eltern nicht in der Nähe, sie müssen ja erstmal Vertrauen aufbauen. Wir haben auch Psychologinnen, die mit den Mädchen arbeiten, aber am Anfang sind Dolmetscherinnen dabei.
Sind das alles Frauen?
Wir achten darauf, dass wir am Anfang nur weibliches Betreuungs- und Bezugspersonal für die Mädchen haben, weil sie doch oft mit sexualisierter Gewalt konfrontiert waren auf ihrer Flucht. Es gibt kaum ein Mädchen, das das nicht erlebt hat. Und oft sind die Fluchtgründe Zwangsverheiratung oder in Afrika oft die Genitalverstümmelung. Es sind so viele sexualisierte Schwierigkeiten und Problemlagen, dass es den Mädchen gut tut, wenn sie in einer Frauenumgebung sind.
Ist das auch der Grund, warum es dieses gesonderte Angebot für Mädchen gibt?
Ja. Die Mädchen sind natürlich in der Minderheit unter den Flüchtlingen. Meist werden ja die Jungs weggeschickt, weil die auch Geld verdienen sollen. Diesen Druck haben die Mädchen oft auch. Aber viele von ihnen fliehen vor einer Bedrohung durch Männer oder schwierigen Situationen, die sie erlebt haben. Manchmal werden
sie dabei von der Mutter unterstützt. Aber das Schlimme ist, dass ihnen auf der Flucht ja etwas zustoßen kann. Die meisten mussten sich aus Geldnot prostituieren. Es ist schlimm, wenn sie es selbst erleben oder wenn sie miterleben, wie eine Frau neben ihnen vergewaltigt wird. Dabei sind die Mädchen oft noch sehr jung, viele von ihnen erst 14 Jahre alt.
Sie haben ein Jahr Flucht hinter sich oder länger. Manchmal können sie auch einfach nicht über das Geschehene sprechen. Sie sind noch sehr kindlich, wirken aber älter, weil sie so schnell erwachsen werden mussten. Man muss sehr sensibel mit ihnen umgehen, weil sie traumatisiert sind und sie manchmal Flashbacks bekommen. Bei uns soll ein Schutzraum sein, in dem sie vor Gewalt geschützt sind.