„Ihr Europäer habt bei uns alles ausgeplündert“
Von Johannes Bühler
„Ihr Europäer habt bei uns alles ausgeplündert“
Serge, geboren 1986 in Côte d’Ivoire, hat immer wieder vergeblich versucht, nach Europa zu gelangen. Johannes Bühler protokollierte seine Migrationsgeschichte
Ich sitze hier in Marokko fest. Ich habe versucht, nach Europa zu gehen, aber das hat nicht geklappt. Wo willst du, dass ich anfange? Bon, mein bürgerlicher Name ist Kassy Serge Bako, aber man nennt mich Killer. Um mich schnell ausfindig zu machen, fragst du nach einem Ivoirier, den man Killer nennt, dann wissen die Leute, wen du meinst. Woher dieser Name kommt? Nun, er kommt daher, dass ich ein großes Herz habe. Ich habe ein großes Herz. Das heißt, wenn ich etwas will, dann tue ich alles, um es zu erreichen. Selbst wenn ich es nicht haben kann, werde ich es versuchen. Wenn man mir zum Beispiel sagt, dass es unmöglich ist, hier reinzukommen, dann ist das, wie wenn du einem Kind sagst: „Das hier ist Feuer, fass‘ es nicht an.“ Aber das Kind will es um jeden Preis anfassen. Das ist in etwa meine Art. Ich will zwangsläufig dorthin gelangen, wo man sagt, dass man unmöglich hinkommt. Ich will auch meinen Teil der Erfahrung haben und sehen, wie das Leben weiter geht. Denn ich liebe die Freude, ich liebe die Musik, ich liebe die Bequemlichkeit, aber ich will trotzdem nicht am Leben verzweifeln. Ich weiß nicht, ob du mir folgen kannst. So ist das.
In Côte d’Ivoire war ich Student. Aber wegen der Krise blieb ich dort nicht lange. Wir konnten das Studium nicht mehr weiter führen, weil die finanziellen Mittel fehlten, und auch weil wir rasch unabhängig sein wollten. Denn als wir die Leute aus Europa zurückkehren sahen, mit der großen Trommel und viel Geld, da fragten wir uns, bon, was verschwenden wir hier unsere Zeit in der Schule, während das Land in der Krise steckt? Ich habe auch Fußball gespielt. Im Grunde bin ich Fußballer. Auch heute versuche ich von Zeit zu Zeit, ein bisschen zu kicken, aber die Situation hier erlaubt es dir nicht, aufzublühen. Also bist du gezwungen, deine Lust bei Seite zu stellen und andere Dinge zu tun, die du nie getan hast und von denen du nie dachtest, dass du sie tun wirst. Du siehst, ich rauche Zigaretten. Es sind die Sorgen, die mich zum Rauchen verleitet haben.
Ich spielte in der zweiten Division und habe hart trainiert. Im Fußball nennt man mich Yaya Touré. Kennst du den ivorischen Fussballer Yaya Touré, der bei Manchester City spielt? Man nennt mich Yaya Touré. Das heißt, dass ich stark bin, dass ich mich durchschlage. Als ich Côte d’Ivoire verließ, wollte ich nach Algerien gehen, einen Club finden und einen Vertrag unterschreiben, selbst in der zweiten oder dritten Division, das wäre mir egal gewesen. Denn in Algerien ist die Meisterschaft professionell und dein Vertrag ist ein professioneller Vertrag. Wir waren sechs Fußballer und verließen Côte d’Ivoire zusammen. Das war 2008, glaube ich. Ich verbrachte ein Jahr in Algerien, davon zwei Monate in Haft. Ich habe fast die Hälfte der algerischen Gefängnisse durchlaufen und danach warfen sie mich in die Wüste, an die Grenze zu Mali, bei Tin Zaouaten, 600 Kilometer entfernt von der letzten algerischen Stadt. Das ist ein großer Film.