Das Fremde im Eigenen
Von Tom Reiss
Das Fremde im Eigenen
Überlegungen zum gespaltenen Verhältnis von Asyl und Exil.
Die Wörter ‚Asyl’ und ‚Exil’ treffen sich an einer semantischen Position, die sich durch eine gewisse Vagheit auszeichnet: eine Person befindet sich an einem Ort, an dem sie entweder nicht sein möchte oder sollte. Insofern scheinen die beiden Begriffe auf den ersten Blick ein komplementäres Wortfeld zu bilden: ein Mensch, der ins ‚Exil’ geschickt wird, muss andernorts ‚Asyl’ suchen. Diese Komplementarität würde jedenfalls erklären, wieso das öffentliche Interesse am Konzept des ‚Asyl’ mit ebenso großem Interesse am ‚Exil’ – und umgekehrt – einher zu gehen scheint.1
Protestierende Flüchtlinge und Edward Snowden
Einerseits suggeriert die mediale Berichterstattung zur Zeit, dass nicht nur mehr und mehr aus anderen Ländern Geflüchtete in Deutschland ‚Asyl’ suchen – gleichzeitig verzweifeln diese Personen in stetig steigendem Maße in Hinsicht auf ihre Bedürfnisse und Forderungen. Man sieht es unter anderem an Fällen wie denen, die sich in den letzten Monaten in München ereignet haben: Den Protestaktionen und Hungerstreiks teilweise minderjähriger Flüchtlinge am Rindermarkt, vor dem Sozialministerium und in der Bayernkaserne. Die Meinungen und Bewertungen, die seitens der Berichterstattenden hinsichtlich dieser Ereignisse getätigt werden, gehen radikal auseinander. Die Thematisierung aber gedeiht.
Andererseits erfreut sich auch die Berichterstattung zum Thema ‚Exil’ reger Beliebtheit: So wie ein Presseaufruhr über sogenannte „Asylbewerber“ den anderen jagt, geschieht es auch mit den „Exilanten“: Edward Snowden erscheint in jenem Moment auf der Bühne des medialen Interesses, in dem Julian Assange sie verlassen hat. Presse, Hashtag-Gewitter und politische Diskussion zentrieren sich gleichermaßen ums ‚Asyl’ wie ums ‚Exil’. Hier stellt sich die Frage, ob diese beiden Konzepte und Begriffe tat – sächlich zwei Seiten derselben Medaille sind, zwei Wörter, die zwei spezielle Aspekte desselben Zusammenhanges bezeichnen.
Wie sich allerdings bei genauer Betrachtung zeigt, ist diese vermeintliche Isomorphie der Begriffe ‚Asyl’ und ‚Exil’ nur eine scheinbare. Mitnichten nämlich geht es bei der Verwendung der Begriffe darum, spezifische Situationen zu bezeichnen. Vielmehr liegt die Entscheidung, ob es sich bei der Aufenthaltssituation eines Menschen um ‚Asyl’ oder ‚Exil’ handelt, im Auge der Betrachtenden. Oft genug referieren beide Wörter auf die gleichen Situationen, die sie allerdings radikal anders bewerten und denen sie andere Eigenschaften zuschreiben.