Die Lust am Elend der Anderen
Von Hartl Konopka
Die Lust am Elend der Anderen
Zur eigenen Unterhaltung virtuell oder real einzutauchen in die Welt von Armut, Krieg und Chaos, ist angesagt wie nie zuvor. In der popkulturellen Verwertungsmaschine bleibt die Kritik an den Verhältnissen oft außen vor. Ein Blick in die voyeuristischen Abgründe der Unterhaltungsindustrie.
„,Und wozu kommst du hierher? Zum Vergnügen? Weil es so schön ist? Wegen der Exotik? Willst du sagen, die Scheiße hier stinkt nicht? Und wie sie stinkt. Das ist doch ein Saustall.‘ Er hatte recht. Auf dem Marktplatz lagen große Fische im Dreck des Bürgersteigs. Er hatte recht. Es stank zum Himmel. Daneben hockten die Typen, die sie verkaufen wollten. An der Ausfallstraße der Stadt, zwischen Buden, Marktständen, Müllhaufen, zwischen Gerümpel, ewiger Ebenerdigkeit und postosmanischem Slum […].“
So schreibt der polnische Autor Andrzej Stasiuk, der immer wieder die Elendsregionen Osteuropas bereist. In seinem gerade erschienenen „Tagebuch, danach geschrieben“ stellt er sich selbst die Frage, warum ihn „der balkanische Verfall […] einfach anzieht“, und er versucht, „dieses zerreißende Gefühl“ zu beschreiben; diesen erregenden Schauder über fremdes Leid, ab hier kurz „Slumming“ genannt.
Global Ghetto Tech
Slumming ist en vogue, im Alternativtourismus, in Filmen und in der Popmusik. Die SZ titelte am 22. Oktober dieses Jahres: „Unwiderstehlich und daheim verboten: Pop aus den Slums von Tansania“. Darin wird „der Sound der Armenviertel und SquatterCamps“ abgefeiert und „zum Sound eines täglichen Überlebenskampfes“ erklärt. Die Musik aus den Elendsquartieren der Welt ist der letzte Schrei im Popjournalismus und in den Clubs des reichen Nordens. Sie heißen Mchiriku (Tansania), Favela Funk (Brasilien), Kuduro (Angola) oder Kwaito (Südafrika) und werden unter dem Begriff „Global Bass“ oder „Global Ghetto Tech“ vermarktet. Zum Image gehören gewalttätige Parties und Verbote von Konzerten oder Radioplays, natürlich nur an den Originalschauplätzen. „Zu zweifelhaft ist ihr Ruf, zu kriminell ihr Umfeld“, ist im oben zitierten SZ-Artikel zu lesen.
Thomas Burkhalter beschäftigt sich in seinem testcard-Beitrag „Weltmusik 2.0“ genau mit diesem Phänomen. Er erkennt einen Trend zur Inszenierung von Krieg und Gewalt und beschreibt KuduroVideoclips aus Luanda, in denen leicht bekleidete Frauen mit jungen Männern tanzen, die im angola – nischen Bürgerkrieg ein Bein verloren haben. M.I.A., die gern als Guerilla-Ikone posiert, ist spätestens seit „Paper Planes“, ihrem Soundtrack zum Film „Slumdog Millionaire“, ganz dick im Geschäft. Das dazugehörige Video wurde inzwischen über sechs Millionen Mal bei Youtube angeklickt. Oder Diplo, der „den lauten, auf Drumcomputer-Rhythmen basierten Baile Funk aus den Favelas von Rio de Janeiro für die globale Inwertsetzung mit entdeckt hat“. Seine CDs heißen „Favela on Blast“ oder „Favela Strikes Back“. Für Burkhalter sind das „akustische (und ebenso visuelle) Seismographen ihrer Zeit.“ Auch der in linken Kreisen geschätzte DJ und Musiker Filastine sei hier aufgeführt. In seinem Video „Colony Collapse“, mit immerhin auch schon 130.000 Clicks, zieht er mit der Sängerin Nova Ruth durch verpestete Landschaften und über Müllhalden Javas, den Ghettoblaster auf der Schulter. Was als Pose der Anklage gegen die dortigen Lebensbedingungen gemeint ist, wirkt eher wie die klassische Ausbeutung des gruselig-exotisti – schen Klischees