„Abschaffen, was uns kriminell macht“

Von Friedrich C. Burschel

„Abschaffen,

was uns kriminell und asozial macht“

Der Frankfurter Gefangenenrat zwischen Gefangenen-Miliz und Knast-Karitas: Auszug aus einem Beitrag zu Solidarität unter „krimellen Lumpen“ und „sozialen Gefangenen“ in BRD-Gefängnissen der 1970er Jahre. Der Text ist dem Buch „Das Prinzip Solidarität“ über die Geschichte der Roten Hilfe in der BRD entnommen.

Die Entstehung des Gefangenenrates ist das Ergebnis einer Vernachlässigung. Anfang der siebziger Jahre sahen sich die „normalen“ Gefangenen, im Gegensatz zu den von zahlreichen Hilfs- und Solidaritäts-Initiativen betreuten „politi – schen Gefangenen“, missachtet und alleingelassen. Im Oktober 1974 äußerte sich der Gefangenenrat dazu in einem Interview mit der Zeitschrift links. Zwar sei man grundsätzlich zu einer Zusammenarbeit etwa mit den Roten Hilfen auf der Ebene des Informationsaustausches bereit, allerdings: „Solange die Roten Hilfen jedoch sich so verhalten, als seien sie eine Organisation für so genannte politische Gefangene, solange wird sich auch eine organisatorische Zusammenarbeit nicht ergeben.“ Kämpferisch formulierte der Frankfurter Gefangenenrat diese Haltung auch in seinem Nachrichtendienst (ND):

„Wir werden mit allen zusammenarbeiten, die konsequenterweise aus ihrer proletarischen Herkunft in Gefängnissen, Irrenanstalten, Lagern und Fürsorgeanstalten inhaftiert sind… Wir werden diejenigen nicht unterstützen, die sich im Gefängnis die gleichen Vorrechte erobern wie draußen, weil sie für die Anmaßung von Macht besser ausgerüstet sind. Vor allem lehnen wir es ab, uns mit dieser Verachtung ‚niedriger Intelligenz‘ zu identifizieren […] Wir wissen, daß, um politischer Gefangener zu sein, man in der Regel studiert haben muß, d. h. zu 95 % Erben elterlicher Intelligenz und Kleinbürgerlichkeit gehören muß, die die Universitäten bevölkern. Es ist Zufall, daß sie im Gefängnis sind. Aber es ist die Regel, daß wir im Gefängnis sind. […] und da sich die gesamte linke Bourgeoisie für sie einsetzt, die sich nicht für uns einsetzt, die für uns außer einiger Flugblätter im nachgemachten Lumpenjargon nichts aufbringt, sehen wir keinen Anlaß, uns dieser Sympathie von Gleichen zu Gleichen anzuschließen.“ An dieser Position wird sich die meiste Kritik am Gefangenenrat entzünden.

Der Frankfurter Gefangenenrat entstand im Zuge der Knast-Revolten der Jahre 1972/73 und reagierte auf die laut werdende Kritik am Strafvollzug in der Bundesrepublik. Eine politische Archäologie des Gefangenenrates fördert eine rasante Entwicklung dieser Gefangenen-Organisierung von Ende 1973 bis 1975 zutage, in deren Verlauf ein Netzwerk mit bis zu 400 Gefangenen in über 70 Strafanstalten Westdeutschlands entstand und die sich im anfangs halbwegs regelmäßigen Erscheinen einer eigenen Publikation, dem Nachrichtendienst der Gefangenenräte, ausdrückte. Die dreizehn Ausgaben des ND dokumentieren die, zum Teil beinharten, Diskussionen der Strafgefangenen unter sich, aber auch und vor allem mit den „politischen Gefangenen“. Nachdem der Gefangenenrat mit der Aufdeckung des „Mannheimer Gefängnisskandals“ im Sommer 1974 einen enormen Erfolg erlebte, kommt es zu einer zunehmenden Verfolgung und Radikalisierung, bis das Projekt, einer breiten Gefangenenbewegung, restlos aufgerieben ist. Die Tatsache aber, dass der Gefangenenrat heute auch in der Linken weitgehend vergessen ist, bedeutet nicht, dass er keinen Einfluss auf eine veränderte, menschenrechtlich orientierte Wahrnehmung von Strafgefangenen, auf die Straf – rechts- und Strafvollzugsreformen und die öffentliche Diskussion jener Jahre hatte.

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