Aid colonization 2.0
Von Franziska Dübgen
Aid colonization 2.0
Die internationale Entwicklungszusammenarbeit im Spiegel der afrikanischen Kritik.
Entwicklung, so verkündete der US-amerikanische Präsident Truman 1949, möge Wachstum, Demokratie und Wohlstand in die „unterentwickelten“ Regionen der Welt bringen. Als geostrategisches Vehikel sollte sie bereits in der Nachkriegszeit die blockfreien Staaten an den Westen binden. Diese Rede war die Geburtsstunde der Einteilung des Globus in bereits kapitalistische „entwickelte“ Nationen und solche, die es erst noch werden sollten und noch im Stadium der „Unterentwicklung“ stagnierten. Eine Neuauflage erhält diese Kopplung aus Kapitalismus-Export und politischer Hörigkeit seit dem 11. September 2001 und dem damit einsetzenden „Krieg gegen den Terror“. Eine Reihe afrikanischer Intellektueller skandalisierten jüngst in ihren Publikationen diese Form der Instrumentalisierung und die sich darin fortschreibenden postkolonialen Abhängigkeiten unter dem Deckmantel der Solidarität. Trotz der Rhetorik von Partnerschaftlichkeit und Eigenverantwortung hat sich im vergangenen Jahrzehnt wenig an den grundlegenden Machtungleichgewichten innerhalb der globalen Institutionen für Entwikklungszusammenarbeit verändert, noch wurde deren interessengeleitete neoliberale Ausrichtung, welche diese Asymmetrien verfestigt, nachhaltig in Frage gestellt.
Hilfsabhängigkeit als Gefährdung demokratischer Selbstbestimmung
Der afrikanische Politikwissenschaftler Tim Murithi sprach kürzlich sogar provokativ von erneuter Kolonisierung durch Hilfe („aid colonization“) mittels an Bedingungen geknüpfter Hilfszahlungen. Nicht jede Entwicklungshilfe sei pauschal als kolonial einzustufen, sondern solche, die mit massiver Einflussnahme in interne Angelegenheiten afrikanischer Regierungen verknüpft ist, das Eindringen in lokale Märkte ermöglicht, Deals zur Beschaffung militärischer Ausrüstung als Hilfe tarnt oder lokale Hilfsökonomien innerhalb des globalen Südens als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Menschen aus dem globalen Norden errichtet. Aid colonization führe daher auch zu aid addiction, der Abhängigkeit von Hilfe. In einigen Ländern hängt das jeweilige nationale Budget derzeit zwischen 30 und 50 Prozent von ausländischen Hilfszahlungen ab. Uganda erzielte mit 57 Prozent einen traurigen Rekord. Yosh Tandon, ugandischer Politikwissenschaftler und Direktor des Thinktanks des Südens „South Centre Geneva“, fragt nach den Konsequenzen, welche dies für die Souveränität und demokratische Verfasstheit vieler afrikanischer Länder hat: „Wie kann eine von Hilfszahlungen abhängige afrikanische Regierung ihre Pflicht erfüllen, ihrem Volk gegenüber demokratisch verantwortlich zu sein, wenn doch 25 (in manchen Fällen sogar 50 Prozent) ihres nationalen Haushalts durch Geberhilfe finanziert wird?“ Die „Schutzmächte“ der internationalen Kreditgeber, wie Achille Mbembe sie bezeichnet, insbesondere des internationalen Währungsfonds und der Weltbank, deren Darlehen einen Großteil der offiziellen Entwicklungshilfe ausmachen, können durch die Auflagen ihrer Kredite auf indirekte Weise folgende Politikbereiche beeinflussen: Privatisierung staatlicher Produktionssphären, Importregelungen, Landwirtschaftspolitik, Spar- und sonstige Haushaltsbeschlüsse. Die Folge des Aussetzens von ausländischer Hilfe zeigt dagegen ebenfalls häufig dramatische Auswirkungen: Sie führt zur Unterlassung von Lohnzahlungen, erhöhter Arbeitslosigkeit, einer Verschlechterung des Bildungssystems, erschwertem Zugang zu Hygiene und damit zu einem Ausbruch von Krankheiten als kurz- und langfristige Folgen. Diese Faktoren machen viele der afrikanischen Regierungen leicht erpressbar, so der Grundtenor der hier vorgestellten Autorinnen und Autoren. In ihrem Buch „Das gedemütigte Afrika“ (französisch: L’Afrique humiliée) zitiert die malische Autorin Aminata Traoré den ehemaligen malischen Übergangspräsidenten von 1991 Mamady Touré: „Eine wahre Partnerschaft würde die Autonomie derjenigen Länder voraussetzen, die davon profitieren sollen, so dass sie selbst Hilfe beantragen und deren Ziele bestimmen können. […] Oft werden uns die Programme jedoch aufgezwungen und man versucht uns glauben zu lassen, sie wären unsere gewesen.“