Das Humanitäre Ausnahmeprogramm
Von Mathias Fiedler und Lee Hielscher
Das Grenzdurchgangslager Friedland in Niedersachsen gilt als bundesdeutsches Laboratorium für die Regulation von Fluchtmigration. Vor dem Hintergrund seiner Historie verstehen Mathias Fiedler und Lee Hielscher aktuelle humanitäre Ausnahmeprogramme als mediale Ablenkungsmanöver.
Zwanzig Kilometer südlich von Göttingen und damit im Herzen der BRD liegt das „Tor zur Freiheit“. 1945 gründeten die britischen Streitkräfte nahe der damaligen Sektorengrenze das „Grenzdurchgangslager (GDL) Friedland“ um die Bewegung von Kriegsheimkehrenden und Vertriebenen zu koordinieren. Später kamen zehntausende von deutschen Kriegsgefangenen aus der Sowjetunion durch Friedland in „die Freiheit“ wodurch das Lager zu einem Integrationsort von Versöhnung wurde. In Folge des Ungarischen Volksaufstandes 1956 wurden das erste Mal Geflüchtete in die BRD aufgenommen. Es folgten Menschen aus Chile und Vietnam und Ausgereiste aus der DDR. Seit 2002 passierten dann Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler das Lager, anschließend Resettlement-Flüchtlinge. Seit vier Jahren dient es auch als Erstaufnahmelager für Asylbewerberinnen und Asylbewerber.
Das GDL Friedland erscheint zunächst als kompletter Gegensatz zur Vorstellung von einer Festung Europa. Hier gibt es keinen Stacheldraht, keine Mauern oder patrouillierende Polizei. Gerade die seit 70 Jahren bestehende enge Einbindung von karitativen Einrich- tungen wie der Friedland Hilfe, dem Malteser Hilfsdienst, dem Deutschen Roten Kreuz (bis 2013), der Inneren Mission sowie der Caritas stellen gelebte Humanität und Solidarität in den Vordergrund.
Eine neue Kategorie humanitärer Hilfe
Für die Erweiterung von Sorge und gelebter Humanität steht die als „Boat People“ bezeichnete Gruppe vietnamesischer Kontingentflüchtlinge, die 1978 von der BRD aufgenommen wurde. Entgegen früherer, nicht deutscher Flüchtlingsgruppen, die Friedland passierten, mussten sie erstmals kein Asylverfahren durchlaufen. Stattdessen wurden unmittelbar Aufenthaltstitel vergeben. Diese politische Ausnahmeaktion wurde mit dem 1980 verabschiedeten „Gesetz über Maßnahmen für im Rahmen humanitärer Hilfsaktio- nen aufgenommene Flüchtlinge“ in einen juristischen Rahmen gebracht.
Beschäftigt man sich mit der Geschichte des GDL Friedland, so wird immer wieder deutlich, wie dort Praktiken des Kümmerns, humanitaristische Argumentation und regulierende Migration zusammenwirken. Das „Humanitäre Aufnahmeprogramm (HAP)“ als Reaktion auf die aktuelle Syrienkrise kann deshalb als Weiterführung dieses besonderen Umgangs bezeichnet werden.