Das Ungeborene zählt nicht
Von Jana Weidhaase
Die Lebensbedingungen von geflüchteten Familien und Kindern sind in Italien schlecht. Trotzdem gibt es vermehrt Abschiebungen dorthin. Wie sieht das richtige Maß bei der Umsetzung der Dublin-Verordnung aus – insbesondere für Mütter und schwangere Frauen? Gibt es das überhaupt? Eine weibliche Perspektive aus der Arbeit mit Schwangeren im Dublin-Verfahren
Adama, 21 Jahre alt, sollte am 30. Mai 2018 gemeinsam mit ihrem fünfjährigen Sohn bereits zum zweiten Mal aus Deutschland nach Italien abgeschoben werden. Das war der Tag vor Beginn ihrer Mutterschutzfrist. Beim ersten Abschiebe- versuch zwei Wochen zuvor widersetzte sie sich bereits, als Polizisten sie und ihren Sohn mitten in der Nacht aus einer Flüchtlingsunterkunft in Niederbayern herausholen wollten. Adama wurde wegen vermeintlicher Gefahr des Untertauchens in Abschiebehaft genommen. Ihr Partner und Vater des noch ungeborenen Kindes blieb in der Flüchtlingsunterkunft allein zurück. Adamas fünfjähriger Sohn wurde ihm nicht anvertraut, obwohl sie bereits seit mehr als einem Jahr zusammenlebten und auch ein gemeinsames Zimmer bewohnten. Der Junge wurde stattdessen vom Jugendamt in Obhut genommen.
Adama war aus ihrem Heimatland Sierra Leone über Libyen nach Italien geflüchtet und kam 2017 in Deutschland an. Aufgrund ihrer Flucht über Italien erhielt sie einen ‚Dublin-Bescheid‘, aus dem sie erfuhr, dass ihr Asylantrag unzulässig sei und sie nach Italien abgeschoben werden soll. Formell ist das gemäß der Dublin-Verordnung auch richtig, doch praktisch bedeutete es für Adama und ihre Kinder, perspektivisch ein Leben auf der Straße führen zu müssen. In Italien können Familien zwar vorrübergehend in einer Familienunterkunft unterkommen, jedoch nur für maximal sechs bis zwölf Monate. Außerdem hätte die Abschiebung nach Italien die Trennung von ihrem Partner und Vater ihres zweiten Kindes bedeutet. Sein Asylverfahren wird in Deutschland bearbeitet, nachdem die Überstellungsfrist nach Italien ohne einen einzigen Abschiebeversuch abgelaufen ist. Keine Seltenheit.