Der Libyen-Deal
Von Christian Jakob
Europa schottet sich ab. Von den Toten, von denen, die auf der Strecke bleiben, vom Elend der Migrant*innen und der Schutzbedürftigkeit der Flüchtlinge. Nachdem Angela Merkel 2016 den Deal mit der Türkei eingefädelt hatte, blieb nur noch eine Lücke im „cordon sanitaire“ der Migrationsabwehr: Libyen. Doch auch diese Lücke schließt sich. Alle wissen, dass in Libyen mehrere Regierungen und zahlreiche Milizen um die Macht kämpfen. Alle wissen, dass Geflüchtete und Migrant*innen dort misshandelt, als Sklav*innen verkauft, getötet werden. Der Verlust von Humanität und Flüchtlingsschutz sind der Preis dessen, was „Sicherung der europäischen Außengrenzen“ genannt wird.
Der Flüchtling war 22 Jahre alt, stammte aus Eritrea und litt an Tuberkulose. Als er am 13. März 2018 im italienischen Hafen Pozzallo auf Sizilien ankam, wog der 1,70 große Mann noch 35 Kilo. Er war völlig unterernährt und offenbar hatte er in Libyen keinerlei medizinische Versorgung erhalten. Als er von Bord des Rettungsschiffs der Hilfsorganisation Proactiva Open Arms ging, brach er zusammen und starb. „Es war eine tragische Ankunft“, sagt Pozzallos Bürgermeister Roberto Ammatuna. „Sie waren alle nur Haut und Knochen, als würden sie aus einem Konzentrationslager der Nazis kommen. Verzweifelte Menschen, unterernährt. Es war schrecklich.“
Dabei handle es sich „weder um eine Überraschung noch eine Neuigkeit“, sagt Alberto Barbieri, Direktor der Organisation Ärzte für Menschenrechte. „Wenn wir nach Libyen schauen, sehen wir ein Land, das für die Migranten in den letzten Jahren zu einem großen Lager geworden ist, wo sie gefoltert werden, wo sie unerhörte Gewalt erleben, wo ihnen Ausbeutung und Tod drohen, wo sie entführt und gefangen gehalten werden, um Zahlungen zu erpressen.“
Und dabei hatten die Überlebenden, die an jenem Tag von Proactiva Open Arms aus Seenot gerettet wurden, noch Glück. Denn immer weniger Geflüchteten und Migrant*innen gelingt es, Libyen überhaupt noch zu verlassen. Seit dem Sommer 2018 ist die Zahl der in Italien ankommenden Bootsflüchtlinge stark zurückgegangen. Im Januar und Februar überquerten 10.200 Menschen das Mittelmeer in Richtung Europa. Im selben Zeitraum des Vorjahres waren es noch 17.500 Migrant*innen. Die Zahl der Toten aber blieb fast gleich: Von Januar bis Mitte März 2018 ertranken im Mittelmeer 495 Flüchtlinge und Migrant*innen. Im Vorjahreszeitraum waren es mit 557 ähnlich viele, obwohl etwa zwei Drittel weniger Geflüchtete gekommen waren.