Deutsch-Lernen für die Sicherheit
Deutsch-Lernen für die Sicherheit
Sprachkenntnisse gelten in Deutschland immer mehr als Synonym für erfolgreiche ‚Integration‘. Das Deutsch-Lernen mutierte von einer migrantischen Forderung zum Instrument staatlicher Migrationssteuerung. Von Birgit zur Nieden1
In einer Episode des Sprachlehrfilms „Viel Glück in Deutschland!“, den das Goethe-Institut 1974 im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung für das Deutsch-Lernen im Inland entwickelte, werden die Lernenden im Deutschkurs gefragt, warum sie Deutsch lernen. Neben den Antworten „Ich weiß es nicht, ich muss Deutsch sprechen“ und „Ich muss doch den Meister verstehen“ („…und natürlich die Kollegen“, ergänzt der Dozent), fällt die vom Kursleiter verwundert aufgenommene Aussage: „…und Deutsch ist wichtig für die Sicherheit“. Auf Nachfrage erklärt der Lernende, dass es wichtig sei, am Arbeitsplatz Deutsch zu verstehen, damit man nicht in gefährliche Situationen gerate und begreife, wie man sich bei der Arbeit ‚richtig‘ vor Unfällen schützt. Die ganze Folge, in der das Vokabular für die Sicherheit bei der Arbeit gelernt werden soll, handelt von Sicherheitskleidung (zum Beispiel feste Schuhe, Schutzhelme, -brillen) und – maßnahmen.
Die Aussage des Sprachschülers erzählt zum einen etwas über die Situation um 1974 und die historische Entwicklung des Deutsch-Lernens in Deutschland, zum anderen erscheint sie von heute aus betrachtet wie ein Omen für die aktuelle Situation des DeutschErwerbs als gesetzlich bestimmter Indikator für ‚Integration‘ und Faktor der Inneren Sicherheit. Deutsche Sprachkenntnisse sind in der restriktiven Integrationsdebatte in Deutschland immer mehr zum Synonym für erfolgreiche ‚Integration‘ geworden. Als ein Ausdruck davon schreibt das Zuwanderungsgesetz von 2005 ‚Integration‘ als individuell von Migrantinnen und Migranten zu erbringende und in einem Deutschtest überprüfbare Leistung vor.
Vergessene Geschichte In den heutigen Debatten um die Deutschkenntnisse und ‚Integration‘ von ‚Zuwanderern‘ wird verwischt, dass es bereits eine sehr lange Geschichte der ‚Integration‘ als Aneignung von Rechten, Lebensräumen und auch von deutscher Sprache gibt. Ebenso selten wird erwähnt, dass im Zuge der Anwerbungen sogenannter Gastarbeiter und Gastarbeiterinnen in der BRD nicht vorgesehen war, dass sie Deutsch lernten. Weder während der Arbeits- oder Anlernzeiten noch außerhalb derer gab es in den Betrieben Angebote, die Sprache zu erlernen. Man ging davon aus, dass sich die Arbeitsabläufe, Aufgaben und Vorschriften leicht vermitteln ließen und weitere Kommunikation nicht nötig wäre. Mehrere Betriebe hatten Sprachführer in verschiedenen Sprachen verfassen lassen, die das zur Arbeitnotwendige Vokabular (wie „Zechenbahnhof“, „Dienstkleidung“ oder „Punktschweißzange“) anhand von Bildern erklärten. In einigen größeren Betrieben wurden einzelne Personen zu Hilfsdolmetschern ausgebildet, um die Kommunikation zwischen den Vorgesetzten und den nicht-deutschen Beschäftigten (vor allem in dieser einen Richtung) zu erleichtern