Die Freiheit im Fummel
Von Doris Belmont
Den Wunsch, ab und an einmal jemand anderes zu sein, kennen wir vermutlich alle. Besonders gerne kommt dieser Wunsch in jenen Momenten auf, in denen wir uns mit den eigenen Unsicherheiten oder mit Versagensängsten konfrontiert sehen. Ein Beispiel, das auch mir nicht fremd ist: Man befindet sich inmitten von Menschen, hat aber das Gefühl, in der Gruppe unterzugehen. Oder man wird von Personen, die einen interessieren – und mit denen man gerne sprechen, von denen man gerne beachtet werden würde – einfach nicht gesehen.
Als ich zu Beginn des neuen Jahrtausends nach Berlin zog, trat dieses Empfinden „nicht gesehen zu werden“ häufiger zutage. Ich würde mich nicht gerade als Mauerblümchen beschreiben – doch alleine in einer großen Stadt, der es völlig gleichgültig zu sein scheint, ob du in ihr ein Zuhause findest oder ob du untergehst, bekommt man von dieser, wie ich sie nenne, dunklen Seite der Freiheit schnell mal ein Ohnmachtsgefühl. Dabei erging es mir wie den vielen anderen, die zu dieser Zeit aus den Dörfern und kleineren Städten des Landes in die Hauptstadt geflohen waren, da ihnen das Versprechen auf Selbstverwirklichung hier noch einlösbar schien.
Tatsächlich erfüllte dieses Versprechen sich für mich nach einiger Zeit des Zauderns und der persönlichen Verunsicherung – und zwar in einem längst vergesse- nen Ort einer Berliner Seitenstraße namens Ackerkeller. Hierbei handelte es sich um einen dieser kollektiv geführten linken Läden, die zu dieser Zeit noch häufiger in Berlin zu finden waren. Dieser war sogar in homosexueller Hand. Ich betrat also den alternativen Schwulenclub („queer“ war zu der Zeit noch kein allgemein verbreiteter Begriff) und wurde auf eine Show im Keller verwiesen. In die Katakomben hinabgestiegen zeigte sich mir ein angeranzter Raum voller bunt gemischter Menschen sowie eine Bühne, die von zwei unbeschreiblichen Erscheinungen, zwei schillernd geschminkten Männern in Strapsen und High Heels nach allen Regeln der Kunst zerlegt wurde.