Eingeschränkte Sichtweisen
Von Luise Marbach
Eingeschränkte Sichtweisen
Vom Märchen der „Festung Europa“ und anderen Grenzziehungen in Wort und Bild.
Die Grenzen haben sich verschoben. Deutschland thront umgeben von anderen EU-Ländern in der Mitte Europas. In der Konsequenz heißt das, legal nach Deutschland als Asylsuchende einzureisen, ist derzeit so gut wie unmöglich. In der zweiten Konsequenz bedeutet die Verschiebung der Grenzen nicht nur eine Entfernung im Raum. Sie ist auch zu einer Entfernung in den Köpfen geworden. Die (sichtbaren) Grenzen sind dem Blick der deutschen Mehrheitsgesellschaft entrückt. Und obwohl das Interesse an den Themen Grenze und Migration als solches nur noch gering erscheint, werden die Mechanismen von Ein-und Ausgrenzung im medialen Raum tagtäglich reproduziert. Um diese nachvollziehen zu können, muss gefragt werden, in welchen Bereichen, auf welche Weise und mit welchen Konsequenzen, Grenzen und Menschen in grenzüberschreitender Bewegung in der deutschen Medienlandschaft repräsentiert werden. Repräsentation ist dabei aber nicht als bloße Spiegelung oder direkte Wiedergabe einer bestehenden Wirklichkeit oder eines bestehenden Gegenstandes zu betrachten, sondern vielmehr als Herstellung einer Wirklichkeit durch die Art und Weise der Darstellung.
Die Festungs-Metapher
Immer wieder ist die Rede von der „Festung Europa“, wenn über den Ausbau der EUAußengrenze und deren tödlichen Folgen berichtet wird. Geprägt wurde der Begriff „Festung Europa“ 1942 durch die Nationalsozialisten als Propagandaschlagwort für deren neue Großraumpolitik. Neben militärischen trug der Begriff auch rassistische Konnotationen. Eine Neubelebung erfuhr die Festungs-Metapher mit der Europäisierung der Grenz- und Migrationspolitik in den 1990er Jahren. Bedienten sich zuerst einmal vor allem linke Kritikerinnen und Kritiker dieser, um ihre Ablehnung gegenüber der voranschreitenden Abschottung Europas zu verdeutlichen, ist der Begriff heute im allgemeinen Sprachgebrauch fest verankert. Angefangen von antirassistischen Gruppierungen bis hin zu Konservativen, überall ist die Rede von der Festung, die ihre Tore geschlossen hat und ihre Mauern immer höher zieht.
Die Festungs-Metapher suggeriert, dass die migrationspolitischen Strategien der EU allein auf die Abschottung gegenüber Migrationsbewegungen und die Militarisierung der Außengrenze zielt. Zweifellos gilt es diesen – zweifellos zu skandalisierenden – Aspekt der Migrationspolitik. Der Opferdiskurs, der dem Blick aus der „Festung Europa“ hinaus auf das Geschehen an ihren Rändern inhärent ist, stellt aber auch eine stark eingeschränkte Sichtweise auf den komplexen Zusammenhang von grenzüberschreitender Bewegung und Regulierung dar und wird den paradoxen Wirkungsweisen und Effekten des europäischen Grenzregimes nicht gerecht. Das Bild von der Festung suggeriert darüber hinaus, dass die EU ein homogenes, geschlossenes Ganzes ist und nährt die Vorstellung, einer einheitlichen Politik, obwohl gerade die EU auf vielen Ebenen von miteinander kollidierenden Interessen durchzogen ist.