Hildesheimer Rassenkunde
Hildesheimer Rassenkunde
Darf Bürgerkriegsflüchtlingen aus dem Libanon, die 17 und 26 Jahre in der Bundesrepublik Deutschland leben und hier eine Familie gegründet haben, unter Hinweis auf angebliche türkische Vorfahren das Aufenthalts recht entzogen werden? Der Fall der Familie Siala-Salame aus Schellerten bei Hildesheim bietet einen tiefen Einblick in die Abgründe deutscher Ausländerpolitik.
Die Familien Salame und Siala gehören der Minderheit der Mhallami an. Viele Angehörige dieser ursprünglich aus der Türkei stammenden arabischen Minderheit flohen ab 1920 vor der aggressiven Türkisierungspolitik unter Atatürk in den Libanon. Im Zuge der Eskalation des libanesischen Bürgerkriegs suchten in den 1980er Jahren viele Mhallami-Familien erneut ihr Heil in der Flucht. Auch den Familien Salame und Siala gelang es Mitte der 80er Jahre, der „Hölle von Beirut“ zu entkommen. Als „staatenlose Kurden“ erhielten beide Familien hier im Rahmen der niedersächsischen Bleiberechtsregelung von 1990 ein Aufenthaltsrecht.
Gazale Salame und Ahmed Siala waren zum Zeitpunkt ihrer Flucht sechs und sieben Jahre alt. Sie absolvierten in Deutschland die Schule, lernten sich kennen und lieben und gründeten eine Familie. Wahrscheinlich wären sie längst eingebürgert, wenn der Landkreis Hildesheim ihnen – wie andere Ausländerbehörden in vergleichbaren Fällen – ihr Aufenthalts recht weiter verlängert hätte. Der Landkreis Hildesheim jedoch witterte Betrug: In den Jahren 2000 und 2001 präsentierte er Auszüge aus dem türkischen Personenstandsregister der 70er Jahre, die belegen sollten, dass die Väter beziehungsweise Großväter von Ahmed Siala und Gazale Salame in der Türkei registriert worden sind und daher (auch) die türkische Staatsangehörigkeit besäßen. Unter Bezugnahme auf diese Unterlagen verweigerte der Landkreis Hildesheim die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis und drohte beiden Bürgerkriegsflüchtlingen samt ihren Kindern die Abschiebung an.
Ausländerbehörde reißt die Familie auseinander
Am 10. Februar 2005 ließ die Ausländerbehörde die zu diesem Zeitpunkt 24 Jahre alte Gazale Salame in die Türkei abschieben. Die Polizei überraschte die schwangere Frau in ihrer Wohnung, während ihr Ehemann gerade die Töchter Nura, 6 Jahre, und Amina, 7 Jahre, zur Schule brachte. Gazale kam zunächst bei entfernten Bekannten der Eltern in Izmir unter. Unter erbärmlichen Umständen brachte sie am 31. August 2005 ihren Sohn Gazi zur Welt.
Ahmed Siala, der in Deutschland mit großen Begriffen wie Demokratie und Rechtsstaat aufgewachsen ist, entschloss sich, nicht klein beizugeben und für seine Rechte und die seiner Familie zu kämpfen. Am 21. Juni 2006 entschied das Verwaltungsgericht Hannover zu seinen Gunsten: „Das ist sehr dünn“, urteilte der vorsitzende Richter über die vom Landkreis angegebenen Gründe für den Entzug der Aufenthaltserlaubnis und verwies darauf, dass die Familie Siala aufgrund der vorgelegten Dokumente seit Anfang der 1950er Jahre im Libanon gelebt hatte.