It ´s Jus Wildfangiatus, Baby!
Von Caspar Schmidt
It’s Jus Wildfangiatus, Baby!
Alle reden über Abschiebung, niemand über Wildfang. Das ist nachvollziehbar, weil das Recht der ehemaligen Kurfürsten, Zugereiste unter ihre Fuchtel zu nehmen, schon seit über 300 Jahren nicht mehr gilt. Dennoch verdient es eine kritische Würdigung.
Mit der Herausbildung der Nationalstaaten sowie dem damit einhergehenden Homogenisierungsfuror in Richtung neues „Innen“ entstand das, was heute mit Abschiebung beschrieben wird. Dennoch fanden damit verwandte Vorgänge auch schon vor der Entstehung moderner Nationalstaaten statt, allerdings unter anderem Namen und mit anderen Hintergründen. Geächtete im Mittel – alter beispielsweise durften sich bestimmten betroffenen Regionen nicht mehr annähern und mussten ihr Leben fortan als „Waldgänger“ fristen. Eine mildere Form der Acht, die auch den kompletten Rechtsverlust, die Vogelfreiheit, bedeutete, war die Verbannung. Die Verurteilten konnten entweder niemals oder nur nach einer bestimmten Zeit in die Region zurückkehren, eine eigens dafür gesetzte Brandmarke am Körper verriet die Dauer des verordneten Fernbleibens. Voraussetzung war allerdings, dass den Geächteten ein Vergehen – zumeist anscheinend moralischer Natur – angelastet werden konnte. Ein der heutigen Abschiebung nahezu entgegengesetzter Vorgang war indes der sogenannte Wildfang, der auf dem Wildfangrecht (ausbuchstabiert: das „Recht des herkommenden Mannes“) basierte:
„Das Wildfangrecht meint das zuerst den Pfalzgrafen am Rhein, dann allen Provinziallandgrafen, namentlich dem Pfalzgrafen in Baiern zustehende Recht, Wildfänge, das heißt alle unehelichen Kinder, welche in den Gegenden geboren wurden, wo das Wildfangrecht galt, dann alle in jenen Gegenden sich freiwillig niederlassenden und ein Jahr dort verweilenden, keinen nachfolgenden Herren habenden, das heißt von einem vorherigen Leibherren nicht reklamierten Personen, endlich auch die Hagestolzen,1 für Leibeigene zu erklären und als solche zu behandeln.“ (Pierer’s Universal-Lexikon).
Vom Kolbenkerl zum kessen Mädchen
Nun brachte das Wildfangrecht nicht nur Vorteile für die just vereinnahmten sogenannten Wildlinge. Mobili29sierte der Kurfürst zum Krieg, sah man sich als Wildling schnell als Kolbenkerl (nur mit einem Kolben, nicht etwa mit einer Lanze bewaffnet) im Kriegsgetümmel. Der Büttel war zwar in der Pflicht, als Quasi-Eigentum des Kurfürsten genoss er zeitgleich aber auch einen besonderen Schutz. Außerdem war es möglich, sich von den spezifischen Wildlingspflichten freizukaufen. Die Kurfürsten nahmen das vom Kaiser an sie übertragene Wildfangrecht weit über die Landesgrenzen hinaus in Anspruch. So kam es beispielsweise, dass alle Bewohner Friesenheims als Wildlinge unter dem Schutz des Kurfürsten der Pfalz standen – und von ihm besteuert wurden –, obwohl Friesenheim nicht zur Kurpfalz gehörte. Dererlei Beispiele sind in den Chroniken deutscher, französischer und holländischer Dörfer viele zu finden. Kurbaiern übte dieses Recht auch in Speyerschen und Wormsschen Territorien aus, was für allerhand Zündstoff sorgte.