Last Minute Protest
Last Minute Protest
Ende 2010 gründete sich in Frankfurt am Main die „Vernetzungsgruppe gegen Abschiebung“. Eva Lilith Seidlmayer gewährt Einblicke in die Arbeit des lose organisierten Netzwerks, das sich zum Ziel gesetzt hat, am Frankfurter Flughafen Abschiebungen zu verhindern und langfristig eine kritische Öffentlichkeit herzustellen.
Es ist Dienstag, sieben Uhr im Abschiebegefängnis im Transitbereich des Flughafens Frankfurt liegt ein junger Mann aus Äthiopien wach und wartet auf seine Abschiebung. Gleichzeitig sind die S-Bahnen Richtung Flughafen überfüllt. Die Menschen stehen auf den Gängen, dicht gedrängt auf dem Weg zur Arbeit. Andere haben Gepäck dabei und fahren zum Flughafen, um von dort wegzufliegen, in den Urlaub oder beruflich. Es sind auch einige Aktivistinnen und Aktivisten unterwegs. Sie sind gekommen, um den Äthiopier bei der Verhinderung seiner Abschiebung zu unterstützen. Sie gehören zur „Vernetzungsgruppe gegen Abschiebung“, die sich in den letzten eineinhalb Jahren rund um den Flughafen Frankfurt etabliert hat. Ungefähr zehn pro Tag: das ist die erschreckende Zahl von Abschiebungen, die in Frankfurt täglich durchgesetzt werden. Zehn am Tag; das waren im Jahr 2010 3.098 Abschiebungen in Frankfurt und 6.907 in der BRD. Jede dieser Abschiebungen ist dabei nur der Endpunkt einer viel längeren, manchmal jahre- oder sogar jahrzehntelangen Geschichte. Jede dieser Abschiebungen ist gewaltsam, denn sie geschieht gegen den Willen der betroffenen Person. Der fehlende oder falsche Pass liefert den Grund für die Abschiebung; jede Abschiebung ist damit tätiger Rassismus.
Die Verantwortung des Flugkapitäns
Für die Behörden gibt es verschiedene Möglichkeiten, die Abschiebungen per Flugzeug durchzusetzen. Zum Teil werden eigens Flugzeuge für ganze Gruppen von Abzuschiebenden gebucht, in seltenen Fällen werden auch für einzelne Menschen Flugzeuge gechartert. Die größte Zahl von Abschiebungen geschieht jedoch in normalen Linienflügen, im selben Flugzeug mit Urlaubs- und Geschäftsreisenden. Meist hinten auf der letzten Bank, manchmal abgeschirmt durch einen Vorhang und oft begleitet durch Polizeibeamte, die rechts und links neben dem oder der Abzuschiebenden sitzen.
Bis vor einigen Jahren waren hier noch schlimme Gewaltanwendungen gegen die unfreiwillig Ausreisenden möglich. Seit dem Tod von Aamir Ageeb 1999, der bei seiner Abschiebung durch Bundesgrenzschutzbeamte mit einem Motorradhelm erstickt wurde, sind die Befugnisse zur Durchsetzung der Ausreise eingeschränkt. Integralhelme, Klebeband an Kopf und Hals, atmungsverhindernde Abpolsterungen und Knebel sind seitdem nicht mehr zulässig. Auch ist spätestens seit dem Gerichtsprozess zu den Umständen unter denen Amir Ageeb erstickte klar, dass der Pilot oder die Pilotin letztendlich die volle Verantwortung für die Sicherheit der Passagiere und damit auch für den Menschen, der abgeschoben werden soll, trägt. Mit dem Schließen der Flugzeugtüren erlischt das Hoheitsrecht der Polizei und geht auf den Flugzeugkapitän über. Diese Verantwortung des Flugkapitäns für die Sicherheit aller Passagiere und sein oder ihr Recht, Passagiere, die nicht freiwillig fliegen, aus dem Flugzeug zu schicken, ist ein wichtiger Ansatzpunkt für die Unterstützung von Menschen, die sich entschlossen haben, ihre Abschiebung selbst zu verhindern.