Lost in Rieden
Von Agnes Andrae
Lost in Rieden
Als einziger afrikanischer Flüchtling strandet Barrie aus Sierra Leone in der schwäbischen Provinz. In Rieden führt er ein Leben in der Isolation.
Ich besteige in Kaufbeuren den Bus und fahre etwa eine halbe Stunde durch kleinere Ort – schaften, über Wiesen und Felder. Es ist 9 Uhr morgens, und ich bin die einzige Person, die im Bus sitzt. An der Haltestelle „Rieden Ortsmitte“ muss ich aussteigen. Die Bezeichnung „Ortsmitte“ ist ein Euphemismus, denn die Ortsmitte unterscheidet sich auf keine Weise von den anderen Weggabelungen. Rieden, so heißt das winzige Dorf, das gerade mal 1333 Seelen zählt. Hier werde ich Barrie treffen.
Etwa zehn Minuten Fußweg liegen zwischen der Bushaltestelle und dem Flüchtlingslager, in dem Barrie wohnt. Ihn will ich heute besuchen und mir ein Bild davon machen, wie sein Leben in Rieden aussieht. Mehrmals am Telefon hat er mich darum gebeten. „You need yourself to come and see the place by your own eyes. I’m the only black guy here“, sagte er und betont immer wieder, wie einsam er hier ist. Auf dem Weg zum Lager begegne ich keinem einzigen Menschen.
Barrie und ich haben uns über eine Mitarbeiterin vom Münchener Infobus kennengelernt. Er war dort in Beratung und als er nach Rieden umziehen musste, übernahm ich für den Bayerischen Flüchtlingsrat seine weitere Betreuung, hauptsächlich telefonisch. Zum ersten Mal getroffen habe ich Barrie in einem Münchener Krankenhaus. Ich besuchte ihn dort nach einer seiner zahlreichen Operationen besuchte.
Im Flüchtlingslager angekommen, suche ich Barries Zimmer. Das Lager besteht aus einem größeren Wohnhaus, in dem früher wahrscheinlich einige Mietparteien wohnten. Heute leben hier 30 bis 50, hauptsächlich aus Afghanistan und dem Iran stammende Flüchtlinge. Als ich ankomme, werkeln allerlei Bauarbeiter, wie ich später erfahre, um einen Wasserschaden zu reparieren. Ich frage einen der Hausbewohner, der mir auf dem Gang begegnet, wo ich Barrie finden kann. Er führt mich in den Keller. Ich folge ihm etwas verwirrt, aber tatsächlich, dort befindet sich sein Zimmer.