Man kann nicht wissen, was wichtig ist
Von Doro Chlumsky
Man kann nicht wissen, was wichtig wird
Die Münchner Bewegung sortieren – geht das? Wir wollen es wissen und fahren ins Archiv der Münchner Arbeiterbewegung. Wir finden: 400 Quadratmeter Fabrikhalle und 150 Jahre linke Münchner Geschichte. Sortiert. Mehr oder weniger.
Die Fabrikhalle steht in einem Wohngebiet im Münchner Westen. Eingezäunte Vorgärten, Türrahmen aus Glasbausteinen, die Gemeinde-Info im angelaufenen Schaukasten, die obligatorische Taverne. Für ein Archiv vielleicht ein guter Ort. Wir gehen an der evangelischen Schule vorbei, vor der gerade Busse abfahren, die Schulkinder zum Schwimmen bringen. Dieselben Busse haben uns schon vor 20 Jahren ins Hallenbad gefahren. Ihre Sitze, aus denen der Schaumstoff quillt, haben den technischen Fortschritt der letzten Jahrzehnte in aller Ruhe an sich vorbeiziehen lassen.
Wir sollen klingeln, dann holt er uns ab. Herr Kucera ist einer der beiden Angestellten des Archivs, der uns herumführen will. Er kommt die Treppe rauf und lässt uns ein. Wir müssen noch um zwei Ecken biegen, durch eine weitere Tür, dann sind wir da. Und sehen uns erst mal um: Das Ding ist riesig! Im Eingangsbereich fällt der erste Blick auf eine Vitrine mit Maßkrügen, gekrönt von einem Schwarz-Weiß- Foto der Münchner Räterevolution. Davor ein lila Fahrrad: „Das ist meins, das gehört nicht dazu“, meint Herr Kucera. An der Wand geht es weiter mit Schränken und Regalen voller Gegenstände: Eine antiquarische Schneidemaschine, „die benutzen wir manchmal noch“, alte Rundfunkgeräte, ein Glaskasten mit Werkzeugen.
Aufgabe dieses Ortes ist es, Zeugnisse und Dokumente der Arbeiterbewegung und der neuen sozialen Bewegungen in München zu archivieren. Die Mitarbeiter sammeln alles, was die Münchner Linke so abwirft: Flugblätter, Plakate, Protokolle, ganze Nachlässe. Das ganze Material zu sortieren, ist eine Herausforderung: Die unterschiedlichen Dokumente müssen so geordnet werden, dass jemand mit einer bestimmten Fragestellung findet, was er sucht.
Wie wissen Sie eigentlich schon jetzt, welche Fragen sich jemand mal stellen könnte?
Wolfgang Kucera: Wir müssen bestimmte Möglichkeiten bieten. Ich kann schlecht sagen: Diese spezielle Fragestellung nehme ich, weil sie mich interessiert, und alles andere fliegt raus. Sondern ich muss mir überlegen, vielleicht gibt es auch mal eine Fragestellung, die ich mir im Moment selbst gar nicht vorstellen kann. Und trotzdem soll jemand, der danach sucht, Material finden. Vielleicht ist das dann nur ein Teilausschnitt von einem Bestand, aber dass das bei uns so weit wie möglich zugänglich und aufbereitet ist, daran arbeiten wir.