Mehrsprachigkeit statt Migrationshintergrund
Von Farida Heuck-Yoo und Juliane Kanitz
Mehrsprachigkeit statt Migrationshintergrund
„Migranten bewegen sich zwischen zwei oder mehr Sprachen und stellen mit ihrer Präsenz jene Gleichung in Frage, die Sprache und Nation in eins setzt und so auch in vielen Fällen das sprachpolitische Handeln nationalstaatlicher Institutionen prägt.“1
Wenn heute auf Nationalitäten rekurriert wird, macht das den Eindruck, als wäre der Nationalstaat die unverrückbare Voraussetzung für Vergesellschaftung. Stattdessen ist er eher ein Sonderfall. Die zeitgenössische Vorstellung von ‚die‘ und ‚wir‘ im Rahmen von Nationalitäten und Territorien ist im Grunde relativ neu, nicht einmal der Begriff der Nation selbst ist sonderlich alt. Keinesfalls ist die Staatsform der Nation der evolutionäre Endpunkt der Vergesellschaftung.
Im Mittelpunkt der Nationenformung standen von Beginn an Kämpfe um Privilegien, wie beispielsweise der Macht, Einzelnen oder Gruppen unterschiedliche Rechte zukommen zu lassen. Die nationale Autonomie legitimierte sich durch die willkürliche, aber dennoch systematische Verknüpfung von territorialen, sozialen und kulturellen Elementen. Das Bild des sesshaften Deutschen stammt aus jener Zeit und steht jenem der Migrantinnen und Migranten diametral gegenüber. Beide Bilder wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Nationsverständnis auf Basis des Territorialprinzips angelegt, wodurch Menschen an einem Ort eine Nationalität zu haben hatten. Im Laufe der Verfestigung der Nationenbildung wurde das Normativ der Sesshaftigkeit in Deutschland mit „aufwendigen Grenzübertritts- und Passregelungen“2 durchgesetzt. Grenzübertrittsregelungen zum Ausschluss von Migrantinnen und Migranten wurden dabei im Laufe der Jahre stetig erweitert und verfeinert. Mittlerweile wird versucht, Migration durch internationale Kooperationen im Bereich der Grenzsicherung außenpolitisch zu steuern.
Nationalistische Illusion
Doch was berechtigt Angehörige einer national organisierten ‚Gemeinschaft‘ dazu, andere auszuschließen? Wie lässt sich dies mit dem allen Menschen zustehenden Anspruch auf eine menschenwürdige Existenz vereinbaren? Es ist das konstruierte völkische Zusammengehörigkeitsgefühl, das nach Etienne Balibar die Grundvorraussetzung ist, damit ein Staat als Nationalstaat Bestand haben kann. Denn erst, wenn ein Volk sich „permanent als nationale Gemeinschaft“3 schafft, wird es möglich, die innerhalb der Nation herrschenden Klassenwidersprüche aufzulösen bzw. auszuhalten.