Mit Recht gegen Recht
Von Maximilian Pichl und Adrian Oeser
Das Dublin-System ist angreifbar. Die strategische Prozessführung hat bereits tiefe Wunden hinterlassen. Aber mit Klagen allein ist nichts getan.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) stellte schon im Dezember 2011 die Voraussetzungen des Dublin-Systems – das von einer prinzipiellen Beachtung der Menschenrechte von Flüchtlingen in allen europäischen Mitgliedsstaaten ausgeht – grundlegend in Frage. Zuvor hatte bereits der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Abschiebungen nach Griechenland aufgrund systemischer Mängel im Asylsystem ausgesetzt. Beide Urteile erzeugten Risse im Dublin-System. Und die sind auf die strukturellen Widersprüche der Dublin-Verordnung zurückzuführen.
Diese Probleme ergeben sich aus seiner Entstehung: Die deutsche Bundesregierung und andere europäische Kernstaaten waren wesentliche Architekten der Verordnung und erkauften die Zustimmung der EU-Außengrenzenstaaten durch das Versprechen, diese finanziell bei der Aufnahme und beim Grenzschutz zu unterstützen. Zum Zeitpunkt der Verhandlungen war die Situation jedoch eine andere als heute. Das Mittelmeer war keine derart stark genutzte Route der
Migration, weniger Menschen waren gezwungen zu fliehen und die unterzeichnenden Staaten waren nicht durch die 2007 einsetzende Wirtschaftskrise geschwächt.
Die Asylanträge in den EU-Grenzstaaten stiegen nach der Beschlussfassung von Dublin-II stark an. Vor allem in Griechenland war die Situation dramatisch. Flüchtlinge waren mit menschenunwürdigen Bedingungen, willkürlichen Inhaftierungen, einem fehlenden Zugang zum Asylverfahren und rechtswidrigen Abschiebungen konfrontiert. Der Pro-Asyl-Bericht „The truth may be bitter but it must be told“, das NoBorder-Camp auf Lesbos und Filmaufnahmen von Flüchtlingen dokumentierten diese Situation. Es folgte Widerstand gegen Dublin – verstärkt kämpfte man auf Rechtswegen.
Recht auf Menschenwürde
In Deutschland wurden diese Kämpfe durch eine Klage zweier Asylsuchender aus Afghanistan eröffnet. Sie wollten ihre drohende Abschiebung nach Griechenland verhindern. Sie klagten vor dem Verwaltungsgericht in Gießen und beantragten den Selbsteintritt Deutschlands für ihre Asylverfahren. Das Selbsteintrittsrecht erlaubt es EU-Mitgliedsstaaten, einen Asylantrag zu bearbeiten, selbst wenn keine formale Zuständigkeit besteht. Das Gericht setzte die Abschiebung der beiden Kläger aus, da Flüchtlinge im Fall einer Abschiebung nach Griechenland menschenrechtswidrig behandelt werden würden. In der Begründung wurde explizit auf den Bericht von Pro Asyl Bezug genommen.