Obdach in der Kirche
Das Dublin-Verfahren hat eine Lücke. Und in die ist Alia geraten.
Die evangelische Gemeinde in Immenstadt im Allgäu gewährte ihr Asyl.
Blickt Alia* in den Spiegel, fängt sie manchmal an zu sprechen. Zwiegespräche. „Ich sage dann Dinge wie ‚Warum bist du abgehauen und hast deine Familie im Stich gelassen?’ oder ‚Ach, du hattest Angst zu sterben? Wärst du geblieben, könntest du das wenigstens in deiner Heimat tun’.“
Als Alia davon erzählt, kreist sie sanft mit dem Löffel in ihrem Tee. Ihr Blick ist entspannt. Hin und wieder sucht sie Fixpunkte im Raum. „Heimat“, sagt sie und muss etwas lächeln. Ihre Heimat, das sind Konturen von altem Steingemäuer vor braunen Hügeln. Schmale Pfade zwischen Terror und Trümmern. Damaskus. Blickt Alia aus dem Fenster, kann sie die steilen Grasberge der Allgäuer Alpen sehen, Mehrfamilienhäuser hinter gemähten Rasen. Touristen auf dem Weg zur Bergbahn. Immenstadt. Kirchenasyl.
„Sie wären sich selbst überlassen worden“
Die Evangelische Gemeinde hat sich entschlossen, Alia sowie einer jungen Mutter aus Somalia mit ihrem Kind Asyl zu gewähren. Sie sollten nach Italien abgeschoben werden – ins Erstaufnahmeland. „Dort wären sie letztendlich sich selbst überlassen worden“, sagt Pfarrer Ulrich Gampert. Ein medizinisches Gutachten, das beide Frauen aufgrund der traumatischen Erfahrungen für nicht reisefähig erklärte, sollte daran nichts ändern. „Von den Behörden hieß es, es gebe einen Arzt als Begleitung. Dann sei von dieser Seite aus alles getan.“ Das drohende Schicksal der beiden Frauen rief Michael Immler auf den Plan.
Von Bürgern und Nazis
Immler ist ein unbequemer Mensch. Einer, der Dinge nicht hinnimmt. 2011 kamen die ersten 30 syrischen Flüchtlinge in der Kleinstadt unter. Einer Stadt, in der sich viele Bürgerinnen und Bürger vor ihnen fürchteten. Sie organisierten sich, nannten sich „Bürgerinitiative Südstadt“ und protestierten vor dem Wohnblock der Asylsuchenden. Die neonazistische Gruppe „Bündnis Freies Allgäu“ platzierte – im Voraus juristisch abgeklärt – ein Banner gegenüber dem Wohnheim auf einem Brückengeländer. Die Aufschrift: „Je mehr desto schlechter – Asylheim Innenstadt – BFA“. Immler übernahm als Integrationsreferent der Stadt die Betreuung der Geflüchteten. Er zeigte Probleme auf, setzte sich für sie ein, sammelte Mobiliar. So bildete sich um Immler herum ein Kreis von Helfenden in Immenstadt. Sie nennen sich „Unterstützerkreis Asyl“.