Queeriano Ronaldo
Von Caspar Schmidt
Plädoyer für einen Weltfußballer, der die homophoben Massen provoziert und sich erlaubt, einen Restbestand an Individualismus zu leben.
„Und wie er sich selbst aufführt, bei jedem echten oder vermeintlichen Foul, wie er sich windet und jammert und jault und den Schiedsrichter beschimpft und seine Mitspieler, die es natürlich nicht so bringen, wie es ihm, dem großen Cristiano Ronaldo gebühren würde, dem sie auf Madeira schon jetzt ein Denkmal hingestellt haben, ein breitbeiniges natürlich und auffallend gut bestückt (wenn das Original es schon nicht ist). Nein, dies ist kein „Pro & Contra” über Cristiano Ronaldo, bei diesem Typen geht nur Contra, alles andere ergibt keinen Sinn. Und wenn der Waliser einen Funken An- stand hat, dann wirft er diesen Pfau, diesen Geck, diesen unausstehlichen Großprotz in hohem Bananen- flankenbogen hinaus. So, das musste mal gesagt wer-
den.“ (Tanja Kokoska, Redakteurin der Frankfurter Rundschau, vor dem Halbfinale Portugal gegen Wales, EM 2016)
Wenn in Deutschland etwas „mal gesagt werden“ muss, dann ist es bereits häufiger gesagt worden. Aber eben noch nicht von jedem (Valentin) oder jeder (Caspar Schmidt). Was sich in einem Artikel der Frankfurter Rundschau als mutiger Tabubruch aufmandelt, ist im Falle des portugiesischen Fußballers Cristiano Ronaldo alles andere als das. Über kaum einen Fußballspieler wird häufiger in abfälliger Absicht intoniert als über den 31-jährigen Ballvirtuosen von Real Madrid. Allein die Kombination „Ronaldo eitel“ ergibt 36.000 Suchergebnisse bei Google, „Ronaldo schwul“ (57.000), „Ronaldo Egoist“ (82.000), „Ronaldo weint“ (113.000) und „Ronaldo arrogant“ (410.000).
Eine häufige Behauptung ist, Ronaldo sei arrogant und ein Egoist. Der Stürmerstar ist regelmäßiger Blutspender, alleinerziehender Vater und engagiert sich für gemein- nützige Projekte. Sein Lebenswandel erhärtet den Ver- dacht, der „arroganteste Fatzke der Welt“ (Bild) zu sein also nicht. Was dem Fußballer aber übel genommen wird: Ronaldo stellt sich nicht bis zur Selbstaufgabe in den Dienst der Mannschaft, er hat sich seinen Individu- alismus bewahrt. Wenn ein Reporter Ronaldo für ein gutes Spiel lobt, dann sagt Ronaldo: „Ja, es war ein schweres Spiel, aber heute war ich gut in Form.“ Er sagt nicht: „Ich glaube, das Lob gebührt der ganzen Mannschaft“, wie es hierzulande jedem herauszuwürgen antrainiert wurde. Der Kadergehorsam, nach dem jeder Spieler sich selbst zurückzustellen und in der Mannschaft aufzugehen habe, ist Sache des „Großmaul(s) und Gockel(s)“ (N-TV) nicht. Dafür wird Ronaldo in Portugal geliebt und in Deutschland gehasst.