Shoah-Geschichten zum Wohlfühlen
Von Jan Süselbeck
Shoah-Geschichten zum Wohlfühlen
Zur Kritik der Holocaust-Repräsentation in Film, Fernsehen und Gegenwartsliteratur.
Deutschland ist und bleibt Exportweltmeister – zumindest mit Hilfe von Büchern und Verfilmungen deutscher Schicksale, die das Bild des Nationalsozialismus, des Zweiten Weltkriegs und der Shoah global modifizieren. Seit den 1990er Jahren wurde in diesen Darstellungen immer drängender betont, dass auch die Deutschen zu „Opfern“ des von ihnen selbst geplanten und durchgeführten Vernichtungskrieges und des Judenmordes geworden seien. Durch die in der Regel dekontextualisiert aufgerufene Geschichte der Vertreibungen Deutscher aus den Ostgebieten, der Vergewaltigungen deutscher Frauen durch die Soldaten der Roten Armee oder auch des alliierten Bombenkriegs gegen die NSZivilbevölkerung schuf man emotionalisierende Erzählungen eines nationalen Leids, dessen historische Kausalität ausgeblendet wurde. Um dazu ein polemisches Bild von Hermann L. Gremliza zu paraphrasieren, das die tendenzielle Unverhältnismäßigkeit dieser Klagen radikal zuspitzt: Nach dem „Mauerfall“ betonte man vor der Jahrtausendwende in Deutschland ganz einfach immer lauter und unverblümter, dass es doch auch sehr weh getan habe, als sich Großvater „damals“ beim Schließen der Gaskammertür einmal den Finger einklemmte.
Doch damit nicht genug. Die unangemessenen Vergleiche und Aufrechnungen deutschen Leids mit deutscher Schuld, welche mit einer nachvollziehbaren Logik von Ursache und Wirkung beziehungsweise mit historischer Korrektheit nichts zu tun haben, gereichen mittlerweile sogar dazu, die Tatsache der Ermordung von sechs Millionen Jüdinnen und Juden hinter den vielen unbestreitbaren Problemen, die für die Deutschen am Ende daraus folgten, mehr und mehr verschwinden zu lassen. Die deutsche Literaturund Filmkritik aber tat sich bezeichnenderweise schwer damit, solche ästhetischen „Schlussstrich“- Suggestionen in Frage zu stellen. Es mussten stattdessen immer erst Kritikerinnen und Kritiker aus dem Ausland kommen, und zwar meist aus den USA, um solche Strategien beim Namen zu nennen. Und es mussten vor allem jüdische Publizistinnen und Publizisten auf ihre Perspektive der Sachlage aufmerksam machen, bevor man hierzulande mit großem Erstaunen entdeckte, dass man gewisse Dinge, die die Shoah betreffen, auch heute immer noch ganz anders sehen könne, als man es in Deutschland längst für ausgemacht hielt.
Kate Winslets tröstende Tränen
Einer dieser verdienstvollen Kommentatorinnen und Kommentatoren heißt William Collins Donahue. Er gehört zu den wenigen mutigen Literaturwissenschaftlerinnen und Literaturwissenschaftlern, die den deutschen Exportschlager schlechthin, Bernhard Schlinks internationalen Bestseller mit dem unscheinbaren Titel „Der Vorleser“ (1995), auf Anhieb zu kritisieren wagten. 2011 hat Donahue noch einmal eine ganze Monografie nachgelegt, die seine skeptischen Analysen von Schlinks gesamten „NS-Romanen“ und ihrer Verfilmungen bündelt, sie weiter vorantreibt und insbesondere aus der Perspektive der spezifischen US-Rezeption des „Vorlesers“ aktuelleinordnet. Das im Bielefelder Aisthesis Verlag erschienene Buch, welches wohl kaum viele Leserinnen und Leser erwarten darf und von der hiesigen Germanistik wahrscheinlich ignoriert werden wird, trägt den polemischen Titel „Holocaust Lite“. Sein Cover ziert eine treffende Nahaufnahme, die uns auf Anhieb vergegenwärtigt, mit welcher offensichtlich unbesiegbaren Übermacht an melodramatischer Emotionalisierungskraft es die Zuschauerinnen und Zuschauer speziell im Fall von Stephen Daldrys Schlink-Verfilmung „The Reader“ (2008) zu tun haben. Das Foto zeigt die hemmungslos weinende Schauspielerin Kate Winsletjene für diese steinerweichende Mimerei auch noch mit einem Oscar prämierte Schauspielerin, die in Daldrys Film die NSTäterin Hanna Schmitz als erotische BadewannenNixe par excellence spielt.