Sieben leere Flaschen Wein
Ein Interview von Ralf Homann
Sieben leere Flaschen Wein
Kaum eine politische Bewegung der letzten 25 Jahre war so herausragend und anhaltend bedeutend für den gesamten Antira- und Flüchtlingsbereich wie die kein mensch ist illegal Kampagne und das dazugehörige Netzwerk. Ralf Homann spricht mit Gisela Seidler über unterschiedliche Ansätze, das Verhältnis zu den Flüchtlingsräten, Bewegungsgeschichte und hedonistische Arbeitsweisen.
Die Initiative zu kein mensch ist illegal 1997 geschah fast zehn Jahre nach der Gründung des Bayerischen Flüchtlingsrates: War diese Initative auch eine Kritik an der Arbeit der Flüchtlingsräte?
Die Gründung von kein mensch ist illegal war eher eine Reaktion auf die Bewegung der Sans Papiers in Paris, die mit der spektakulären Kirchenbesetzung im Jahr 1996 gezeigt hat, dass es ganz andere Akteure gibt. Wir erwarteten damals, dass sich auch in Deutschland die Leute ohne Aufenthaltsstatus mit der Zeit politisch äußern würden, sich auch erheben würden. Im Prinzip war die Gründung des Netzwerks von kein mensch ist illegal ein Vorgriff auf die erwartete Bewegung. Es war keine Kritik an den Flüchtlingsräten, denn die hatten einen anderen Fokus: Da ging es um politisches Asyl, und das war auch die begrenzte Sichtweise der Flüchtlingsräte. Der Bayerische Flüchtlingsrat gehörte dann aber zu den Erstunterzeichnern des Appells kein mensch ist illegal, was uns damals sehr gefreut hat. Und einige Flüchtlingsräte sind gefolgt, aber bei weitem nicht alle. Vor allem Pro Asyl hat die Gründung von kein mensch ist illegal anfangs kritisiert, weil wir nicht nur die politisch Verfolgten im Blick hatten, sondern auch Menschen, die aus anderen Gründen gekommen waren.
Das heißt, damals gab es eine ganz klare Trennung zwischen dem Engagement für politisch Verfolgte und den – es gab ja diesen unsäglichen Ausdruck – „Wirtschaftsasylanten“. Oder mit welchem Fächer an Begriffen wurde damals gearbeitet?
In der politischen Arbeit gab es tatsächlich diese Trennung der Bewegungen: Auf der einen Seite ein Teil der Flüchtlingsräte und Pro Asyl, die sich nur für das Recht auf politisches Asyl eingesetzt haben und sich für die anderen an sich nicht interessierten. Die Situation der „Illegalen“ oder derjenigen, die wegen Armut oder Ausbeutung Ihre Länder verlassen hatten, war kein Thema. Konsequenz daraus war, dass letztlich die Abschiebung derjenigen akzeptiert wurde, die nicht politisch verfolgt waren. So ein bisschen in der Richtung haben wir das gesehen. Es war aber so, dass die Flüchtlingsräte, die unseren Appell sofort unterschrieben haben, genau wussten, dass diese Grenze zwischen Flüchtling und Illegalem absolut fließend ist und jeder, der als Flüchtling kommt, ganz schnell illegalisiert werden konnte. Das Recht auf Asyl war ja nicht mehr gewährleistet und zudem zu eng gefasst. Auch einige Vorstandsmitglieder von Pro Asyl haben unterschrieben. Wir haben mit kein mensch ist illegal auch zeigen wollen, dass auch andere Gründe, nach Deutschland zu migrieren, anerkennenswert sind. Mit dem Thema der Menschen in der Illegalität hat sich 1997 außer uns nur noch die katholische Kirche in Berlin und der Jesuitenpater Jörg Alt beschäftigt. Das war absolutes Randthema, obwohl es gerade zu dieser Zeit von Seiten des Staates eine große Hetzkampagne gab.