Undead & Loving It

Von Georg Seeßlen

UNDEAD…

…& LOVING IT

1 Der Tod ist das „beste“ Zeichen des Subjekts, das als individuelle Entität und reiche und erfüllte Persönlichkeit gedacht wird. Der Tod macht aus dem Leben das eigene und ein Leben auf den Tod hin wird als „bewusstes“ Leben gebildet. Freilich ist die Beziehung zwischen Individuum und Tod stets auch umkehrbar: Mit dem einen ändert sich stets auch das andere. Sinnvoll, paradoxerweise, scheint der Tod stets, wo er sich vom Individuum abspaltet und einer kollektiven Sinngebung hinwendet. Das Opfer für das Ganze und Große allein scheint die Absurdität des Todes, das Individuum zugleich zu erschaffen und zu vernichten, aufzuheben. Das „hingegebene“ Leben macht den Tod erhaben. So entsteht ein Dreieck, und auch hier ist neuerlich jede Veränderung des einen Agens für die beiden anderen:

2 Zunächst gibt es die Zeitdiagnose, die großen kollektiven Sinn-Maschinen (im Jenseits der medialen Verblödung) verlören an Einfluss und Verlässlichkeit. Deshalb würde dann alle Last auf dem Subjekt liegen (zumal im Neoliberalismus eine „Religion“ der Selbstsucht erstanden sei). Aber der Tod begrenzt dies, der nicht mehr rückbindend an das kollektive Sinnsystem erträglich ist. Jeder weiß, dass Geld im Angesicht des Todes seinen Wert für das Subjekt verliert und es für seine Verlängerung in der Zeit, für die „Erbschaft“ gewinnt. Kapitalismus ohne Familie ist grotesk, also erweitern wir unser Dreieck zu einem Viereck: Im verschärften und globalen Neoliberalismus (der nicht nur Wirtschaftsordnung sondern auch Menschenbild ist) verwandelt sich selbst das SUBJEKT in eine Blase. Und da es weder im Kollektiv noch in der Familie eine nennenswerte strukturelle Verankerung mehr aufzuweisen scheint, bleibt ihm nur die direkte und radikale Auseinandersetzung mit dem Tod. Das neoliberale Subjekt darf nicht altern und will nicht sterben. (Aber haben wir uns Kapitalisten seit Scrooge, dem Protagonisten in Charles Dickens‘ Eine Weihnachtsgeschichte, nicht ohnehin als einsame Untote vorgestellt?)

3 Eines der Symptome ist es, dass das Sterben als Akt der Bestätigung/Aufhebung des Subjekts prolongiert wird, zugleich aber auch „selbstbestimmt“ sein soll. (Dem depravierten Bürger bleibt letztendlich nichts als das höchsteigene Sterben, so dass wir in der populären Kultur durchaus Feiern eines solchen individuellen Todes finden, wenn auch keine „sinnvollen Opfer“ mehr.)

(der ganze Artikel im PDF Format)