Ungarn: Staatlich geförderter Rassismus
Ein Interview von Agnes Andrae
Das Asylsystem in Ungarn droht zu kollabieren, da die Flüchtlingszahlen immer weiter ansteigen. Marc Speer von bordermonitoring.eu e.V. berichtet über die derzeitige Situation von Flüchtlingen in Ungarn und die drastischen Maßnahmen, mit denen die ungarische Regierung die Migration nach Ungarn stoppen will.
In Ungarn ist die Zahl der Asyl- suchenden in der letzten Zeit rasant gestiegen. Wie ist die aktuelle Situation?
Im letzten Jahr gab es in Ungarn über 40.000 Asylanträge. Damit hat sich die Zahl innerhalb von nur zwei Jahren verzwanzigfacht. Und die Zahlen steigen weiter: Allein bis Mai diesen Jahres gab es bereits über 50.000 Asylanträge. Anfang diesen Jahres waren es vor allem Personen aus dem Kosovo, die in Ungarn einen Asylantrag stellten. Deren Anteil ist allerdings neuerdings stark rückläufig. Mittlerweile kommt die über- wiegende Mehrheit der Flüchtlinge aus Afghanistan und Syrien. Dem stehen gerade einmal 2.000 Plätze in den offenen Aufnahmeeinrichtungen und 500 Plätze in der sogenannten Asylhaft gegenüber. Für Flüchtlinge, die einen Schutz- status in Ungarn erhalten haben, gibt es sogar nur knapp über 100 Plätze in zwei kirchlichen Projekten. Die meisten Flüchtlinge, die nach Ungarn kommen, reisen innerhalb weniger Tage weiter in einen der restlichen Schengenstaaten. Würden sie dies nicht tun, wäre das ungarische Aufnahmesystem bereits komplett kollabiert.
Auf welchen Wegen kommen die Flüchtlinge nach Ungarn?
Der Großteil reist über die Türkei nach Griechenland. Von dort aus überschreiten sie zunächst die Grenze nach Mazedonien. In etlichen Interviews berichten uns Flüchtlinge davon, dass sie Mazedonien zu Fuß in Richtung Serbien durchquert haben, nicht selten entlang der Bahngleise.
Hintergrund ist, dass es Flüchtlingen in Mazedonien bis vor Kurzem nicht erlaubt war, öffentliche Transportmittel wie Busse oder Züge zu benutzen. In der südmazedonischen Stadt Demir Kapija hat sich daher seit einiger Zeit ein schwunghafter Handel mit Fahrrädern entwickelt, die von der lokalen Bevölkerung für den doppelten Preis an Flüchtlinge verkauft wurden. Dass die Leute zu Fuß oder mit dem Fahrrad durch Mazedonien reisen, spricht übrigens auch gegen die These, dass nahezu alle Reisen von hochkriminellen, transnational operierenden Schleuserbanden organisiert werden. In Serbien ist die Situation so, dass die meisten Flüchtlinge Busse bzw. Taxis nutzen und von diesen in die Nähe der Grenze zu Ungarn gebracht werden, die sie dann mithilfe von Google Maps in Gruppen von drei bis zwanzig Personen in der Nacht überqueren.