Unter den Vitrinen
Unter den Vitrinen
Mittlerweile stellen immer mehr Museen Migrationsgeschichten aus. Die Debatten und Projekte dazu offenbaren ein unbehaglich realitätsfernes Gesellschaftsbild. Um dem entgegenzuwirken, gilt es, neue Sicht- und Erzählweisen zu etablieren.
Schon das Bonner U-Bahn-Zwischengeschoss der „Heussallee/Museumsmeile“ begrüßt Passierende mit spektakulären Ausstellungsinszenierungen zur Geschichte der Bundesrepublik. Es ist auffällig, dass das Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland hier verschiedene Fortbewegungsmittel ausstellt. So fällt mein Blick zunächst auf ein Motorrad und ein Schild „Willkommen in Deutschland/Bienvenue en Allemagne“. Abrupt denke ich, hier stehe das mittlerweile ikonische Moped von Armando Rodrigues de Sá, dem millionsten „Gastarbeiter“, im Fokus, um eine freundlichere Reinterpretation des deutschen Verhältnisses zu den Anwerbeabkommen ab 1955 mit ihren Folgen zu vermitteln. Doch ein zweiter Blick zeigt, dass sich die breitseitig verglaste Galerie lieber der ehemaligen Hauptstadt mit ihren offiziellen Repräsentationsgebärden für Staatsbesuche sowie den Transportmitteln ehemaliger Bundeskanzler widmet.
Das „Andere“ präsentieren
Direkt gegenüberliegend wird aber eine temporäre Fotoausstellung zum Thema „Muslime in Deutschland“ präsentiert. In dieser Schaufenster-Galerie sind Fotografien des zenith-fotopreises 2011 ausgestellt, zu denen folgende Worte einleiten: „Eine Frau mit Kopftuch, Männer mit Wasserpfeife, Jugendliche beim Tanz, Kinder mit Computerspiel – ausgewählte Bilder des ersten zenith-fotopreises zeigen ein buntes und vielschichtiges Bild von muslimischem Leben in Deutschland.“
Des Weiteren heißt es, die „Bilder vermitteln ein Gefühl des Fremdseins, aber auch des Miteinanders und der Zugehörigkeit. Auf abwechslungs reiche Weise veranschaulichen sie die unterschiedlichen Ausdrucksformen muslimischer Kultur in Deutschland.“
Ein Blick auf die Dominanz der Fotomotive (trist aussehende Wohnhochhäuser, Männergruppen im Café, kopftuchtragende Frauen, isoliert und anonym wirkende Figuren) sowie auf die Bildunterschriften („Fremde Heimat“, „We, they and I“, „Auf der Suche“, „Die andere Seite“, „Islam und Anderes in Berlin“, „Geboren in einem fremden Land“, „Gostanbul“) zeugen paradigmatisch von einem differenzialisti – schen Darstellungsmodus der Migration, welcher im Großen und Ganzen die Debatten und Entwicklungen nun auch im Museumsfeld bestimmt. Denn auch hierzulande haben kulturhistorische Museen die Migration mit reichlicher Verspätung entdeckt. Die zahlreichen Tagungen, Wechselausstellungen und Publikationen hierzu zeugen davon, dass es sich um eine virulent geführte Debatte von äußert unterschiedlichen Akteuren, Interessen und Zugängen zu dem Thema handelt.
Harmonisch klingende Rhetoriken
Der Zeitpunkt der jüngsten musealen Beschäftigung mit der hiesigen Migrationsgeschichte ist mehr oder weniger auf ein paar wenige Jahre rückdatierbar: Nach Veröffentlichung des „Nationalen Integrationsplanes“ (2007), der auch Kultureinrichtungen eine „interkulturelle Öffnung im Selbstverständnis, in den inhaltlichen Programmen, in den Gremien und beim Personal“ empfiehlt, regte das Bundesministerium für Kultur und Medien beim Deutschen Museumsbund, Dachorganisation der Museen in Deutschland, eine explizite Auseinandersetzung mit dem Thema Migration an. Seitdem treffen bei den Sammel-, Ausstellungs- und Vermittlungsprojekten vor allem Museumsleute und Personen der Wissenschaft zusammen. Wie in vielen anderen institutionellen Kontexten bleiben dabei migrantische und postmigrantische Positionen mehr oder weniger außen vor, vor allem wenn es um konzeptuelle und inhaltliche Mitbestimmung und Ausarbeitung geht. Genauso wenig verwunderlich ist, dass die Reihen des musealen Personalbestands besonders auf inhaltlicher und leitender Ebene nicht mal annähernd die Realität dieser längst migrantisch geprägten Gesellschaft spiegeln.
Insgesamt ist bei den musealen Migrationsdebatten eine gewisse Hektik, Ratlosigkeit und eine oft massiv unreflektierte Anknüpfung an den nationalen Integrationsimperativ festzustellen. Im Fokus der Aufmerksamkeit steht dabei einerseits, Migrantinnen und Migranten als neue Zielgruppe zu entdecken, und andererseits, die eigenen Depots und Inventare nach Migrationsgeschichte zu durchstöbern und aktiv „Migrationsobjekte“ zu sammeln. Im erstgenannten Handlungsfeld verschreiben sich die Museen unter dem Motto „interkulturelle Bildung“, „spezielle Zielgruppenangebote für Menschen mit Migrationshintergrund“1 zu entwerfen. Hier liegt eine perfide Krux vor: Diese „speziellen“ Programme stigmatisieren ihre Adressaten im Grunde zur unmündigen Problemgruppe mit Bildungsdefiziten und mangelndem Interesse für Kultur und Museen; diese sollen nun unter harmonisch klingenden Rhetoriken der „Partizipation“ und „kulturellen Teilhabe“ an „die in ihrer neuen Heimat üblichen Abläufe und Regeln“2 herangeführt werden. Gleichzeitig erhebt sich die Institution Museum so zum offiziellen Schauplatz der Nationalgeschichte und des Kulturkanons.