Wer hat Angst vorm Schwarzen Staat?
Eine Rezension von Christiane Kern
Die geheime Macht des Islamischen Staates. Exzellent analysiert Abdel Bari Atwan wie sich dieser Staat entwickeln konnte. Zugleich macht der Journalist deutlich, dass der Westen es mit einem schwer fassbaren Gegner auf unbestimmte Zeit zu tun hat
Die zentrale Erkenntnis, die Abdal Bari Atwans umfassende Darstellung der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) dem Leser anbietet, ist so simpel wie Angst einflößend: der Name ist Programm und längst Realität. Der IS verlautbart keineswegs ein fernes, heiliges Ziel von Staatsgründung, für das die Organisation gegenwärtig auf syrisch-irakischem Kriegsgebiet kämpft oder Terroranschläge verübt. Die Grundsteinlegung des Islamischen Staats erfolgte bereits vor drei Jahren. Seitdem wächst und gedeiht dieses Reich auf zwei Pfeilern: Auf Territorium, das es an sich reißt, und auf einer hochentwickelten Infrastruktur im Internet, die wie geschaffen dazu scheint, die weltumspannende Gemeinde der radikal-religiösen Musliminnen und Muslime – die Umma – zusammenzuführen, respektive neue „Staatsangehörige“ zu rekrutieren.
Bisheriger Höhepunkt des neugegründeten Gemeinwesens unter eigener Flagge – mit eigener Währung und nagelneuen Polizeiautos – war am 1. Juli 2014, als ein neues Kalifat ausgerufen wurde. Auf verschiedenen extremistischen Webseiten und Profilen in den sozialen Medien wurde damals ein 20-minütiger Audio-Mitschnitt veröffentlicht, in dem der Anführer des Islamischen Staates, Abu Bakr al-Baghdadi zu hören war. Kein Kalifat ohne Kalifen – al-Baghdadi ernannte sich selbst zum Herrscher über sein Kalifenreich, das heißt zum Oberhaupt aller Musliminnen und Muslime, die er beschwor, sich ihm anzuschließen, um weltweit zu expandieren.
Nun könnte man den Größenwahn der IS als Spinnerei einer hochkriminellen, blutrünstigen, größtenteils jungen, international agierenden „Gangstervereinigung“ abtun, deren Anhängerinnen und Anhänger
zufällig der muslimischen Religionsgemeinschaft angehören und als Digital Natives die Gunst der digitalen Technik, zumal für Propagandazwecke, virtuos zu nutzen verstehen. Atwan erklärt auf knapp 300 Seiten präzise argumentierend, warum die Terrormiliz IS, die er mittlerweile auf rund 300.000 Jihadistinnen und Jihadisten schätzt, sowohl in ihrer Professionalität als auch im politischen Kontext des Nahen Ostens überaus ernst zu nehmen ist. Keinesfalls, so der Autor, wird sie schnell wieder vom Erdboden verschwinden. Seine Argumente überzeugen – und die Fakten sind umfassend. Gerade diese große Anzahl an Nachweisen macht die Lektüre stellenweise ermüdend. Bei diesen Passagen ist man dann dankbar dafür, dass hier ein geübter Journalist schreibt. Zugutehalten muss man ihm ebenfalls: Für die Mühe in Arabisch ungeübter Leserinnen und Leser, Jihadisten-Namen wie al-Zarqawi von al-Zawahiri im Textgemenge auseinander zu halten, zeichnet der Autor nicht verantwortlich. Huber und Schmidt heißen sie nun mal nicht.