Wer Schüler aus dem Klassenzimmer holt
Von Friedrich Ani
Einen Tag nach den dramatischen Szenen während der Abschiebung eines Nürnberger Berufsschülers, initiierte die Münchner Sozialgenossenschaft Bellevue di Monaco eine Kundgebung vor dem Bayerischen Kultusministerium. Die Redner*innen sprachen sich unter dem Motto „Schützt unsere Schülerinnen & Schüler“ gegen den Eingriff in den Schutzraum Schule und gegen Ab- schiebungen nach Afghanistan aus. Der Münchner Schriftsteller Friedrich Ani sprach in drastischen Worten.
Seine Rede zum Nachlesen.
Wer Schüler aus dem Klassenzimmer holt, um sie abzuschieben, der handelt außerhalb der Menschenwürde.
Wer Schüler aus dem Klassenzimmer holt, um sie abzuschieben, begeht ein Verbrechen an der Menschlichkeit.
Wer Schüler aus dem Klassenzimmer holt, um sie abzuschieben, in ein Land des Terrors und der Angst, begibt sich außerhalb der Zivilgesellschaft.
Wer Schüler aus dem Klassenzimmer holt, um sie abzuschieben, der vergreift sich an den Grundwerten der Demokratie.
Wer Schüler aus dem Klassenzimmer holt, um sie abzuschieben, ist kein Jünger der Gerechtigkeit, sondern ein Heuchler. Solche haben schon Jesus ans Kreuz geschlagen und heute betreten sie ein Klassenzimmer und zeigen auf ihn, den Gekreuzigten am Kreuz an der Wand und rufen: Wer nicht glaubt wie wir, wird abgeschoben – Amen.
Wer Schüler aus dem Klassenzimmer holt, um sie abzuschieben, hält dieses Handeln für zumutbar. Abschiebungen nach Afghanistan seien zumutbar, schallt es aus den Ministe- rien. Und ich frage mich, werden unsere Minister vor die Angehörigen der Toten von Kabul treten und zu ihnen sagen: Alles halb so schlimm. Die Arbeit in Kabul ist zumutbar. Werden sie das tun? Und wenn nein, warum nicht? Denn es wäre dasselbe, was sie zu den Schülern sagen würden, die sie aus den Klassenzimmern holen, um sie abzuschieben vor aller Augen, vor den Augen der Mitschüler und Lehrer.
In der Vorstufe zum Paradies, wie unsere christlichen Minister und Ministerpräsidenten das Land hier nennen, in der Vorstufe zum Paradies dringen eines Morgens Amtshelfer der Unmenschlichkeit in ein Klassenzimmer ein, um einen Schüler abzuholen, um ihn wegzuschaffen, damit in der Vorstufe zum Paradies alles seine Ordnung hat.
In der Vorstufe zum Paradies darf ein Innenminister sich christlich nennen und Abschiebungen nach Afghanistan immer noch für zumutbar halten, denn ein Zwanzigjähriger, der seit vier Jahren in der Vorstufe zum Paradies lebt, ein guter Schüler ist und einen Ausbildungsplatz in Aussicht hat, sei im paradiesischen Afghanistan mit Sicherheit besser daheim als hier. Und Flüchtling bleibt Flüchtling und die Würde des Menschen ist antastbar. Das wissen wir angeblich seit die innere Sicherheit dieses Landes auf dem Spiel steht und die Freiheit Deutschlands am Hindukusch verteidigt wird. Nicht nur am Hindukusch, sondern auch an einer fränkischen Berufs- schule wird unsere Freiheit verteidigt, und zwar mit allen Mitteln von den christlichen Kreuzrittern unserer Wahl. Wer Schüler aus dem Klassenzimmer holt, um sie abzuschieben,
der ist kein Christ, der ist ein Anti-Christ. Solche sollten wir beim nächsten Mal zum Teufel wählen.