Zehn Gramm Scheiße täglich
Was ein völkischer Mob und Rassismus in der augenblicklichen„Flüchtlingskrise“ mit Kapitalismus und Chancen auf Veränderung zu tun haben.
In dem ziemlich guten Spielfilm Die Fälscher (2007) spielt der deutsche TV-Allrounder Martin Brambach einen sadistischen KZ-Wärter. In einer Szene betritt er ein Klo, in dem ein Häftling gerade den Boden scheuern muss. „Weitermachen!“, brüllt der SS-Mann und beginnt neben dem Gefangenen in die Kloschüssel zu pinkeln. Dabei stößt er Drohungen gegen den Häftling aus. Um diese Drohungen zu untermauern, wendet sich der Pinkelnde dem am Boden kauernden Häftling zu und uriniert auf ihn. Eine empörende, schreckliche Stelle in dem an solchen Szenen wahrhaftig nicht armen Film, der am 29. August 2015 auf 3sat wieder mal gezeigt wurde. Aber diesmal traf mich die Szene wie ein Blitz: Mir schoss eine Zeitungsmeldung durch den Kopf, in der es um eine „Szene“ in der Berliner Ringbahn ging.
Ein 32-jähriger notorischer Nazi taumelte mit einem 37-jährigen Kumpel, beide besoffen, unter wüsten rassistischen Beschimpfungen auf eine als nicht- deutsch eingeschätzte Mutter mit zwei etwa 5- und 15-jährigen Kindern zu. Die beiden Männer sollen gerufen haben: „Heil Hitler, ihr Juden“, „Scheiß- Asylantenpack“ und „Wir sind die Herrenrasse und ihr keine Arier“. Dann holte Christoph S. seinen Penis hervor und urinierte auf die beiden Kinder. Das geschah am 22. August 2015. Mitten in einem öffentlichen Verkehrsmittel. Mitten in Berlin.
Es gehört zu dieser Geschichte zwingend der Umstand dazu, dass zwar die Täter festgenommen (und umgehend auch wieder auf freien Fuß gesetzt) wurden, dass aber die betroffene Mutter mit ihren Kindern nicht ausfindig gemacht werden konnte. Es werden Menschen gewesen sein, die schon ihre Erfahrungen gemacht haben mit dem Teil deutscher „Willkommenskultur“, der nicht so gern im Fernsehen gezeigt wird. Vielleicht waren es die jetzt schon von jedem Idioten identifizierten „Wirtschaftsflüchtlinge“, womöglich aus der geschmähten geographischen
Ecke, die aktuell „Westbalkan“ genannt wird, „schlimmstenfalls“ könnten es gar Roma gewesen sein. Jedenfalls haben sie, trotz der anzunehmenden schweren Traumatisierung der Kinder, darauf verzichtet, sich bei der Polizei zu melden, von der sie vermutlich nichts erhofften.
Während sich das, was allenthalben die „Flüchtlingskrise“ genannt wird, zu einem veritablen Krieg gegen die Flüchtlinge (und diejenigen, die ihnen helfen wollen) auswächst und neue Eskalationsstufen erklimmt, muss man innehalten und sich die Entwicklungen der vergangenen Monate vergegenwärtigen, um sich auszumalen, wohin diese Deutschlandtour oder Europareise gehen könnte.