Ausgabe Nr 53 | un≠gleich
„Testosterone is a great equalizer. It turns all men into morons.“
(Rupert Giles in „Buffy – The Vampire Slayer”)
Liebe Ungleiche, liebe Leser*innen,
jetzt war gerade schon wieder Fußball-Weltmeisterschaft. Wer da am Ende gegen wen gewonnen hat, ist eurer Lieblingsredaktion ziemlich gleich. Das Interesse daran, irgendwelchen Leuten dabei zuzuschauen, wie sie einen Sack voll Luft durch die Gegend treten, ist hier ohnehin nicht sehr stark ausgeprägt. Interessanter ist da schon die Frage, wieso bei dieser WM die öffentlichen, medialen und politischen Proteste aufgrund der desaströsen Menschenrechtssituation und der korrupten FIFA diesmal – definitiv zu Recht – so umfangreich ausfielen, vor vier Jahren, als die WM in Russland stattfand, aber ausblieben. Auch damals schon regierte Putin autokratisch und hatte Russland sich völkerrechtswidrig die Krim einverleibt. Wieso werden diese zwei Autokratien ungleich behandelt?
Und die Ukraine unterstützen EU, USA und NATO – völlig zu Recht und noch ausbaubar – in ihrer Selbstverteidigung gegen eben jenen russischen Autokraten, dem sie bei der letzten WM noch die Hand geschüttelt haben. Die Kurd*innen aber – nicht nur in Syrien –, die gerade vom türkischen Autokraten völkerrechtswidrig angegriffen werden, lässt der Westen im Stich. Jene Kurd*innen, die an der Seite der USA gegen den Islamischen Staat (IS) gekämpft haben. Wieso wird der eine Völkerrechtsbruch ungleich dem anderen behandelt? Und wieso werden die Menschen, die vor Putins Bomben aus der Ukraine flüchten, in der EU mit offenen Armen aufgenommen – was großartig ist –, die Menschen, die vor Assads und Putins Bomben oder vor Erdoğans Angriffen aus Syrien fliehen mussten, aber nicht? Wieso werden diese Menschen ungleich behandelt?
Die Aspekte der Gleichheit und der Ungleichheit sind Kernelemente der Gerechtigkeit. Gleichheit im Sinne wirtschaftsliberaler Theorie zum Beispiel bedeutet, dass alle Menschen das gleiche Recht haben, ihre Arbeitskraft zu Markte zu tragen. Von Adam Smith bis Christian Lindner denken sie, dass ja alle dieselben Chancen hätten, wenn sie nur hart genug arbeiteten. Dass aber Menschen eben ungleich sind, ungleiche intellektuelle oder körperliche Voraussetzungen haben, die sie nicht beeinflussen können, sieht der Liberalismus nicht. Noch weniger, dass Menschen mit ungleichen Startbedingen in diesen Wettbewerb gehen.
Wer in Deutschland geboren ist, hat bessere Chancen als jemand, der in Angola geboren ist. Wer reich erbt, muss sich weniger Sorgen machen, kann sich bessere Schulbildung leisten als jemand aus Hartz-IV-Verhältnissen. Das Erben ist ohnehin eine der größten Ungerechtigkeiten. Es ist schon seit feudalen Zeiten Grundlage aller Herrschaft und Ausbeutung. Ob Königshaus oder Familienbetrieb – Herkunft ist kein Qualitätsmerkmal. Doch viele, die in die Privilegien hineingeboren werden, sehen diese auch noch als eigene Leistung an.
Gleichheit im Sinne kommunistischer Theorie hingegen ist eine andere, sie betrachtet den Menschen in seiner individuellen Ungleichheit. „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen“, fordert Karl Marx. Die ungleiche Behandlung ungleicher Individuen schafft hier erst die Gleichheit der Chancen und der Lebensbedingungen.
Nun, mit diesem Heft werden wir es wahrscheinlich auch nicht schaffen „alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“ (Marx). Mit diesem Heft werden wir den Kapitalismus nicht abschaffen, Putin nicht beseitigen und die Frauen im Iran nicht befreien. Aber wir können ein paar Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten aufzeigen und die damit einhergehenden Erfahrungen sichtbar machen.
Möget ihr die gleiche Freue an dieser Ausgabe haben wie wir.
Eure Gleichmacher*innen von der
Hinterland-Redaktion
Diese Ausgabe wurde gefördert von: